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Berlin: Der Wert der Inspiration

Von Claudia Keller

Der Weltjugendtag ist für Katholiken so etwas wie die Weltmeisterschaft für Fußballfans. Er ist ein gigantischer Rausch und eine überwältigende Erfahrung von Gemeinschaft. Die Rituale des Glaubens, die diese Woche hunderttausendfach in Köln zu erleben sein werden, tragen die Jugendlichen über den Alltag hinaus. Für eine Woche lösen sich Ängste vor der Zukunft und privater Ärger auf. Die unsichtbaren Veränderungen im Inneren können auch jeden Einzelnen über sich selbst hinaustragen und den Blick für den anderen schärfen.

Viele Jugendliche haben sich seit einem Jahr auf diese Auszeit vorbereitet, haben Lieder und Gebete eingeübt und Geld gesammelt, damit sie Gäste aus Afrika, Asien und Lateinamerika einladen können. Sie haben das alles mit einer neuen Selbstverständlichkeit getan. Denn Glauben ist in und fast schon ein bisschen cool – in Deutschland spätestens, seit wir den neuen, den deutschen Papst Benedikt XVI. haben.

Vor fünfzehn Jahren noch galt Religiosität als ein Zeichen der Schwäche. Nur wer sein Leben nicht in den Griff bekam, so lautete das Vorurteil, benötigt den Beistand der Kirchen. Wer nach innerer Erleuchtung suchte, entdeckte den Buddhismus und entspannte bei Yoga, Tai-Chi oder Qi Gong. Papst Johannes Paul II. hat die Jugendlichen neugierig gemacht auf die religiösen Angebote vor ihrer eigenen Haustür. Er hat sie gelockt durch seine Persönlichkeit, seine Ausstrahlung und seine einladenden Gesten. Und während die Jungen zu seinem Abschied im Frühjahr nach Rom und jetzt aus Neugier auf den neuen Papst nach Köln pilgern, entdecken vielleicht auch ihre Eltern, dass es ohne christliche Werte doch nicht geht. Dass sich der Mensch selbst zerstört, wenn sich die reine funktionale Vernunft, etwa im Blick auf die Biotechnologie, verselbstständigt. Tausende demonstrieren für Religion als Unterrichtsfach, weil sie fürchten, dass ihre Kinder den moralischen Kompass verlieren.

Wenn Hunderttausende beim Weltjugendtag ausgelassen feiern und beten, dann heißt das freilich noch lange nicht, dass sie einer göttlichen Wahrheit oder den Amtskirchen huldigen. Vielmehr pickt sich jeder aus dem Christentum heraus, was für das eigene Wohlsein gerade passt. Die einen hoffen auf die große Party, die anderen sehnen sich nach einem „Papa“, der sie ernst nimmt und ihnen mit einer klaren Position den Weg weist. So bunt die Formen des Glaubens aber auch sein mögen, ein Funke scheint übergesprungen zu sein.

An Papst Benedikt XVI. ist es nun, diesen Funken in die Kirche zurückzutragen. Er könnte die religiös elektrisierten Jungen für ein Leben mit Gott gewinnen, das mehr ist als nur ein Soundbite Spiritualität hier und da. Dazu gehört, dass man nicht nur das tut, was Spaß macht und Profit bringt. Dazu gehört auch, dass man Verantwortung übernimmt für das eigene Tun und für andere, auch dann, wenn es unbequem ist. Wer, wenn nicht dieser Papst, könnte die Jugendlichen mit klaren Worten dazu überreden? Der Papst, der im Bezug auf Werte immer gegen jeden Relativismus stand.

Kurz vor seiner Wahl zum Papst hat Joseph Ratzinger noch als Kardinal und oberster Glaubenswächter auch das gesagt: Wer den Weg zu Gott nicht finden kann, der sollte doch versuchen, so zu leben, als ob es Gott gäbe. Wenn der Weltjugendtag dazu anregt, dann wäre er mehr als ein Rausch. Er würde allen gut tun, denen dort und der Welt drumherum. Denn das Singen, Beten und Tanzen bekäme ein Fundament. Spiritualität führte zur Inspiration, und die Inspiration öffnete den Weg, um sich vorurteilsfrei dem zu nähern, was die Gesellschaft heute wie alle die Jahre zuvor braucht: Humanität und Solidarität und Achtsamkeit. Über das Maß mag man reden, auch und gerade mit Benedikt, dem Papst, der kein Eventmanager ist, sondern ein Kirchenlehrer. Menschenfischer in der Nachfolge Petri zu sein, aber setzt voraus, den Menschen zu begegnen. Dann machte der Inhalt die Musik, er würde zur wahren Attraktion des Treffens. Und so würde der Weltjugendtag etwas grundlegend anderes als die Fußball-WM. Aber auch nur dann.

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