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Berlin: Des Schusters neue Kleider

Heinz Rühmann als „Hauptmann von Köpenick“? Unmöglich, der war doch gerade noch „Charleys Tante“. Wäre nicht Curd Jürgens in der Rolle viel überzeugender? Regisseur Helmut Käutner wollte von solchen Debatten nichts hören – und drehte mit Rühmann einen der größten Erfolge des deutschen Nachkriegsfilms

Den Gesang des Dompfaffs charakterisieren Vogelfreunde als „weich und langsam, eher zögerlich und vorsichtig“, eine „Mischung aus flötenden, kratzenden und quietschenden Tönen“, umschrieben als „ein gequetschtes Di-dü-diiüh“. Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie man da eine Melodie heraushören soll, aber vielleicht besaß Heinz Rühmann ein besonders musikalisches Exemplar. Das Leben im Hamburger Hotel „Vier Jahreszeiten“, wo er sich Anfang 1956 für die Dreharbeiten zu „Der Hauptmann von Köpenick“ einquartiert hatte, war allzu einsam, und so hatte er sich den Vogel gekauft, „der im Hotelzimmer auf mich wartete“. Abends saß er immer glücklich auf Rühmanns Schulter, „gab Küsschen ans Ohr und sang: ,Fröhlich kehrt der Wandersmann zurück’“.

Wie auch immer man dies ornithologisch bewerten mag – Rühmann-Kundlern gilt der Piepmatz als Indiz für die Bedeutung, die der Schauspieler gerade der Rolle des Hauptmanns beimaß. Als Komödiant begann sein Stern nach einem Karriereknick wieder zu steigen, als Charakterdarsteller hatte ihn noch niemand erkannt. Das sollte anders werden, selbst um den Preis eines wochenlangen, selbst verordneten Eremitenlebens.

„Uniformladen ,Ick wollte mir nur mal erkundign – ’“, so lautete Carl Zuckmayers erster Satzsplitter des „Hauptmanns von Köpenick“. Der Dramatiker hatte ihn 1930 auf einem Schmierzettel notiert, mit anderen Ideenschnipseln. Sie richteten sich zunächst auf einen Film über den vorbestraften Schuster Wilhelm Voigt, der am 16. Oktober 1906, als Hauptmann verkleidet, einen Trupp Soldaten unter sein Kommando gestellt, im Rathaus Köpenick den Bürgermeister verhaftet und die Stadtkasse beschlagnahmt hatte. Der Schauspieler Fritz Kortner hatte Zuckmayer das Filmprojekt vorgeschlagen, der jedoch bald darin den Stoff für ein Drama sah, für das er alleinige Autorschaft reklamierte – Auslöser eines langen Streits mit Kortner.

Am 5. März 1931 hatte „Der Hauptmann von Köpenick“ am Deutschen Theater in Berlin Premiere. Dem Schauspieler, der einmal sein berühmtester Hauptmann werden sollte, dürfte Zuckmayer in der damaligen Berliner Gesellschaft mehrfach begegnet sein, auch kannten sie sich aus München. Sein Eindruck muss positiv ausgefallen sein: In dem Geheimreport, den Zuckmayer um 1943 für den US-Auslandsgeheimdienst OSS, Vorläufer des CIA, über 100 in Nazi-Deutschland gebliebene Schauspieler, Regisseure, Musiker, Verleger und andere Intellektuelle verfasste, rechnete er Rühmann nach 28-zeiligem Gutachten der Kategorie „vom Nazi-Einfluss unberührt, widerstrebend, zuverlässig“ zu. Die gemeinsame Arbeit am „Hauptmann“ 13 Jahre später wurde durch die Geheimdienstaktivitäten nicht belastet. Zuckmayer, Rühmann und Helmut Käutner, der Regisseur, saßen im Vorfeld der Dreharbeiten „tagelang zusammen, studierten Entwürfe von Dekorationen, diskutierten das Manuskript, strichen, erweiterten, besprachen Auffassungen“, berichtete der Schauspieler. Teilweise wurde der alte Stoff im Film aktualisiert und der Situation kurz nach der Wiederbewaffnung in West und Ost angepasst. So ließ Käutner in der Schlussszene die Kamera auf eine Vogelscheuche mit der Hauptmannsuniform schwenken, ein satirisches Detail, das Produzent Walter Koppel als „zu aggressiv“ und „psychologisch falsch“ wieder strich. Auch machte Käutner, mit Zustimmung Zuckmayers, aus dem jüdischen Trödler Kracauer einen Sudetendeutschen, was auf das Schicksal der Heimatvertriebenen anspielte und dem Vorwurf des Antisemitismus vorbeugte. Eine kluge Entscheidung: Als Voigt in einer TV-Verfilmung 1960 die Uniform wieder originalgetreu bei einem Juden kaufte, gab es prompt Protest von Heinz Galinski, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

Bevor Zuckmayer, Käutner und Rühmann die Köpfe zusammenstecken konnten, waren einige Hürden zu überwinden. Zunächst musste die Hamburger Real-Film mit den Produzenten Walter Koppel und Gyula Trebitsch die Filmrechte von Richard Oswald, Regisseur der ersten beiden „Hauptmann“-Verfilmungen, zurückerwerben. Für die Titelrolle kam Curd Jürgens, der unter Käutner gerade „Des Teufels General“ gewesen war, in die engere Wahl, auch Hans Albers diente sich an. Rühmanns Name fiel – und löste sofort Widerspruch aus. Einer, der gerade noch in Frauenkleidern „Charleys Tante“ war, solle den „Hauptmann“ spielen? Aber Käutner bestand auf Rühmann, machte das sogar zur Bedingung seiner Mitarbeit. Der allerdings war exklusiv an die Berliner Produktionsfirma Berolina gebunden, erst nach monatelangen Verhandlungen gab man ihn frei. Am 9. März 1956 begannen die Dreharbeiten im Real-Filmstudio in Hamburg-Wandsbek, nach nur 41 Drehtagen waren sie bereits vorbei. „Wir hatten alles so eingehend besprochen, … dass Helmut und ich wussten, was wir wollten, ohne im Atelier noch viel darüber reden zu müssen“, berichtete Rühmann. Oft mussten Szenen nur ein- oder zweimal gedreht werden. Der Schauspieler war bereits nach den Vorgesprächen in Hamburg geblieben, hatte die Haftanstalt Fuhlsbüttel besucht, und zog sich nun noch mehr, als man es von ihm gewohnt war, zur Vorbereitung auf seine Rolle zurück. Wie sehr er darin aufging, zeigt ein Zeitungsbericht von den Dreharbeiten: „Die Aufnahme ist beendet. Doch wenn man meinen sollte, dass Heinz Rühmann seine Rolle nun mit einem Ruck abwerfen würde, um als flotter Mensch fidel vor sich hinpfeifend zu kurzer Pause seine Garderobe aufzusuchen, so hat man sich abermals getäuscht. Den Blick nach unten gerichtet, knickebeinert er langsam aus der Kulisse, schaut kaum auf und sagt nur: ,Fragen Sie mich bitte nichts. Ich bin ein völlig gebrochener Mensch’, und schlurft weiter.“

Am 16. August 1956 hat „Der Hauptmann von Köpenick“ im Kölner Ufa-Palast Premiere und wird begeistert aufgenommen: über zehn Millionen Zuschauer in den ersten fünf Monaten; Export in 53 Länder, darunter die USA; Oscar-Nominierung für den besten ausländischen Film. Bei der Verleihung des Bundesfilmpreises 1957 wird der „Hauptmann“ als bester abendfüllender Film ausgezeichnet, es regnet Filmbänder in Gold und Silber. Mit ihm eröffnen am 26. August 1956 die Filmfestspiele Venedig. Rühmann fliegt im Sportflugzeug hinunter, vor der Vorstellung irgendein Schauspieler aus Deutschland, danach ein umjubelter Star. Als er die ihm zugedachten Blumen kurzerhand weiterreicht, an die in der Nähe sitzende Gina Lollobrigida, kennt die Begeisterung keine Grenzen mehr. Dabei hat er doch nur das getan, was er schon immer am besten konnte: „Ich brech’ die Herzen der stolzesten Frau’n.“

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