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Berlin: Deutsch als Weltsprache

86 Kinder aus elf Nationen besuchen die Spreegucker-Kita in Tiergarten Viele von ihnen müssen erst lernen, sich miteinander zu verständigen

Am Schrank klebt ein blauer Punkt, am Fenster ein gelber. Jedes Mal, wenn die Kindergarten- und Vorschulkinder der Kita Spreegucker in Tiergarten den richtigen Artikel für einen Gegenstand wissen, bekleben sie mit der Erzieherin Sylvia Liermann das Möbelstück. Die Punkte sind visuelle Gedächtnishilfen, damit die Kinder den Artikel nicht vergessen.

In der Kita sind muslimische Frauen mit Kopftuch, asiatische Mädchen und viele Menschen aus verschiedenen Kulturen auf gemalten Bildern zu sehen. An der Decke kleben Willkommenssprüche auf Hindi, Russisch, Türkisch. 70 Prozent der Kinder kommen aus Einwandererfamilien. Trotzdem wird hier Deutsch gesprochen, denn die 86 Kinder aus elf Nationen brauchen eine gemeinsame Sprache, um sich verständigen zu können. Seit fünf Jahren gibt es eine gezielte Sprachförderung für alle Vorschulkinder – auch für die deutschen, die Defizite haben.

Sylvia Liermann arbeitet vor allem mit dem Würzburger Sprachtrainingsprogramm: Hören, lauschen, lernen, so lautet dessen Prinzip. Wer gut hört und Töne unterscheiden kann, der lernt schnell. Zwar wird mit dem Programm vor allem im Vorschuljahr gearbeitet, „aber auch vorher versuchen wir, den Kindern spielerisch die Sprache näher zu bringen“, sagt die Erzieherin. Denn eigentlich sei doch ihre ganze Arbeit eine einzige große Sprachförderung: „Auch wenn man sich einfach mit den Kindern unterhält, ist das Sprachtraining.“

Sich „einfach unterhalten“ ist für viele Kinder keine Selbstverständlichkeit. Oftmals kommen sie aus Elternhäusern, in denen wenig gesprochen wird und stattdessen stundenlang der Fernseher läuft.

Mit den 15 Vorschulkindern setzt sich Sylvia Liermann jeden Tag 20 Minuten in einen Raum, in dem kein Spielzeug herumliegt. Dort müssen die Kinder Fehler in verschiedenen Sätzen finden. „Die Hose blau“, sagt Erzieherin Liermann etwa und möchte stattdessen hören „Die Hose ist blau“. Im Morgenkreis wird gesungen, Reime werden aufgesagt, und es wird gelernt, das Datum zu bestimmen.

Die Kinder haben schon vom Sprachtraining profitiert: Die Drei- bis Vierjährigen aus der „Knuddelmonster-Kindergartengruppe“ haben kein Problem, dass schwierige Wort „Kakadu“ auszusprechen – auch wenn sie sich nicht ganz einig sind, ob der Vogel im Bilderbuch nicht doch ein Papagei ist. Nur der Luftballon auf der nächsten Seite ist eine größere Herausforderung: Ein türkisches Mädchen zeigt auf den „Lummbamllom“.

„Kinder sind in diesem Alter sehr lernfähig“, sagt Sylvia Liermann, „einige kommen zu uns und sprechen kein Wort Deutsch. Und manche lernen es innerhalb von drei Monaten nahezu perfekt."

Dennoch gibt es auch hier viele Kinder, denen Förderbedarf attestiert werden muss, wenn sie den „Deutsch plus“-Test für Vorschüler machen (siehe Beitrag oben). „Wir können eben nicht alle Defizite ausgleichen“, bedauert Kita-Leiterin Ulrike Steiner: Viele Kinder kämen nicht mit drei, sondern erst mit fünf Jahren in die Kita und würden von ihren Eltern, die oftmals selbst schlecht Deutsch sprächen, zu wenig unterstützt. Deshalb freut sich die Kita-Leiterin über die Lerntagebücher, die jetzt von Jugendsenator Böger eingeführt werden. Sie kann jede zusätzliche Hilfe bei der Deutschförderung brauchen.

Die Autorin besuchte 1990 als Vorschülerin die Kita Spreegucker.

Sarah Tolba

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