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Ausgezeichnet. Florian David Fitz küsst seine „Lola“.

© dapd

Deutscher Filmpreis: Vincent kriegt alles

Die 61. Gala zum Deutschen Filmpreis endet mit einer kleinen Sensation: Der Publikumsrenner „Vincent will meer“ sticht die würdigen Grübelfilme aus.

Ob man das hätte ahnen können? Vielleicht, als Florian David Fitz, Drehbuchautor und Hauptdarsteller in Ralf Huettners „Vincent will meer“, hübsch aufgekratzt bereits seinen Lola-Sieg als Schauspieler zur Show macht. Klar meint er brav, seine Konkurrenten August Diehl und Alexander Fehling seien ebenfalls „großartig“, aber dann fokussiert sich das Würdigungsvergnügen doch beträchtlich auf die eigene diebische Freude. Allerlei Leute hätten ihm vor Jahren gesagt, mit so einem Buch und so einer Rolle stehe er womöglich eines Tages als der kleine Seriendarsteller da, der ausgerechnet mit einem Behindertenthema auf einen Filmpreis schiele. „Es war nicht meine Absicht“, sagt er mit ganz besonders treuherzigem Augenaufschlag, „aber es hat trotzdem geklappt.“

Und nun, ein längeres Viertelstündchen später, ist die Sensation perfekt. Das Beziehungsdramolett „Drei“ des Überallfilmpreisdauerabräumers Tom Tykwer geht bei dem Top-Trophäen gleich dreimal baden, und auch Andres Veiels honoriges Terroristen-Kostümdrama „Wer wenn nicht wir“, sein erster Spielfilm, muss sich mit schlichter Bronze begnügen. Ganz oben stattdessen die Losung des Tages: Vincent kriegt alles. Die Story um die drei Psychiatrie-Patienten, die Mutterns Asche nach Italien (!) ans Meer (!!) fahren, unbeeindruckt von einem stereotyp schlimmdummen Vater (!!!) und einer stereotyp nervenden Heimleiterin (!!!!) hat die 1200 Mitglieder der Deutschen Filmakademie in ihrer Mehrheit offenbar nachhaltig hingerissen.

Mitten in den Jubeltaumel wird man sicher hineinflüstern dürfen: Es ist nicht der beste Film eines an Höhepunkten durchaus dürftigen deutschen Kinojahres, aber der erfolgreichste. Einer der heute im schnelllebigen – oder sollte man sagen: mörderischen? – Kinogeschäft selten gewordenen „Schläfer“, ein Film also, der an der Kinokasse als Bettvorleger startet und dann doch, mit über einer Million Zuschauern, als Tiger durchs Ziel geht. Und es ist ein Constantin-Film. Nicht ganz ausgeschlossen, dass, und auch das wird man halblaut hinzufügen dürfen, den Akademiemitgliedern hier auch ein nachgetragenes Wiedergutmachungsbedürfnis an dem Ende Januar plötzlich verstorbenen Akademie-Gründungsvater Bernd Eichinger bei der Entscheidung behilflich war.

Ihn würdigt die Akademie anrührend immer wieder, als sei ihr einstiger, streitbarer und durchaus nicht rundweg beliebter Leitwolf nun – zumindest für diesen 61. Jahrgang – ihr Leitmotiv. Die warmherzige Familienstimmung wechselt im Lauf des Abends immer wieder auch ins brandend Heiße, wenn Chris Kraus’ „Poll“, der bei der Nominiertenliste der besten Filme übergangen worden war, in den Nebenkategorien gewinnt: Insgesamt vier Preise holt sein Film – und auch wenn sie allesamt unabweisbar scheinen, wirkt auch ihre Massierung wie ein von schlechtem Gewissen genährtes Kompensationsgeschäft. Die eigentliche Sensation aber schafft nicht der schon vor einem Jahr im Kino gestartete und nun wirklich abgespielte Gold-Junge „Vincent will meer“, sondern sie gelingt den beiden Silber-Siegerinnen Yasemin und Nesrin Samdereli.

„Almanya“: Das ist der Film, den erst niemand so recht finanzieren wollte, das ist der Überraschungserfolg dieses Winters und Frühjahrs – und der Film, dessen Thema derzeit auch locker für Gold getaugt hätte: Intelligent und fantasievoll gemacht, erzählt er von einer deutschen Familie mit türkischen Wurzeln und zieht dem Missgunstmikrokosmos des Thilo Sarrazin mit links die schlechten Zähne. Schon als die Schwestern Samdereli den Drehbuchpreis gewinnen, ist da im Jubel der am Film Beteiligten ein Glücksgen im Zuschauerraum, das sich nicht mehr vertreiben lässt. „Almanya“ ist einer jener Publikumsfilme, die sich auch ohne bombastische Werbung herumsprechen, ein Film für alle. Oder, um es mit den seligen Produzenten zu sagen: Als alle meinten, das wird nichts, weil Türken nicht in deutsche Filme gehen und Deutsche nicht in türkische Filme, da haben sie nur auf ihr „Bauchgefühl“ vertraut. „Wir aber wollten diesen Film sehen!“

So kann’s gehen, und so kann’s weitergehen auch mit der Deutschen Filmakademie, die in den paar Jahren ihrer Existenz fühlbar gewachsen und auch zusammengewachsen ist. Das alljährliche Familientreffen gelingt ihr inzwischen scheinbar nebenbei. Da ist ein glücklicher, mit dem Ehrenpreis bedachter Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, der sich von seinem Schauspieler Andreas Schmidt schön sagen lässt, er schaue seinen Figuren „in die Kinderseele“, und der sich mit runden 80 Jahren so bedankt: „Ich bin nicht nur erfreut, sondern auch ermutigt, und das braucht man in jedem Alter.“ Eine Mathilde Bonnefoy, geehrt für den Schnitt von „Drei“, die ihren Auftritt mit dem wunderbaren Satz vom „Moment des Herausgeholtwerdens aus der unvermeidlichen Einsamkeit des künstlerischen Tuns“ krönt. Und selbst ein Tom Tykwer, dessen größter Lorbeer diesmal wie so oft die Regie war, dem dann nach dem Rühmen seiner „Arbeitsfamilie“, die ihn so lange schon begleite, herausrutscht: „Darüber hinaus trifft man ja auch kaum jemanden…“ Tja, auch das, weil so wahr, irgendwie herzerwärmend.

Wie gesagt: Es gab schon größere, bessere, tollere Filme und Filmjahre. Aber macht nichts, wenn die Leute so sind, wie sie sind. Und so bleiben. Dann muss einem um das deutsche Kino wirklich nicht bange sein.

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