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Vor dem Gerichtsgebäude, in dem Beate Zschäpe der Prozess gemacht wird, weht eine türkische Flagge. Auch in Berlin-Kreuzberg wurde der Prozessauftakt verfolgt.

© dpa

Deutschtürken in der Oranienstraße: NSU-Prozess auf allen Bildschirmen

In der Kreuzberger Oranienstraße haben viele türkischstämmige Berliner in diesen Tagen nur ein Thema: die Gerichtsverhandlung gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe in München.

So recht bei der Sache ist sie an diesem Montagnachmittag nicht. Seit zwölf Jahren betreibt Seyhan Onel ein Reisebüro in der Oranienstraße in Kreuzberg, verkauft Flüge und Pauschalreisen in die Türkei. Während sie Anrufe entgegennimmt und Flüge umbucht, schaut sie immer wieder auf den Liveticker: Der hält Onel über die Ereignisse in einem Münchner Gerichtssaal auf dem Laufenden. Dort wird der mutmaßlichen Terroristin Beate Zschäpe der Prozess gemacht. Als Teil der neonazistischen Terrorzelle NSU soll Zschäpe an der Ermordung von zehn Menschen beteiligt gewesen sein, darunter acht Türkischstämmige. Deswegen verfolgen auch die Berliner Türken das Verfahren ganz genau.

Eine ganze Weile haben Seyhan Onel und ihre Kollegen an diesem Morgen über den Prozess diskutiert, hier im Herzen der türkischen Community in der Oranienstraße. „Es geht nicht darum, dass ganz Deutschland unter die Lupe genommen wird, sondern um die Pressefreiheit“, sagt Onel, die Anfang der 80er Jahre als Zehnjährige nach Deutschland kam. Sie lese nur deutsche Medien, sie wolle wissen, was die Deutschen denken und schreiben. „Der Richter tut mir leid, ich möchte nicht in seiner Haut stecken“, sagt sie. Nach dem Hickhack um die Vergabe der Presseplätze im Gerichtssaal seien zu viele Emotionen im Spiel. Nur eines steht für Onel bereits fest: „Das Urteil wird milde ausfallen.“

Auch Ufuk Enes hat in letzter Zeit viel über den NSU-Prozess diskutiert, mit Deutschen und mit Türken. „Die Aktion mit der Sitzplatzvergabe war das Letzte“, sagt der Endzwanziger, „wen soll das sonst interessieren, wenn nicht uns?“ Enes führt einen Lottoladen, verkauft Zigaretten und Bier – und rotweiße T-Shirts mit der Aufschrift „Little Istanbul“. So wird der alte Bezirk SO 36 in den Reiseführern beworben. „Kreuzberg ist meine Heimat“, sagt Enes, der im Kiez aufgewachsen ist und eine Deutsche geheiratet hat. Auf der Theke seines Ladens liegen die Ausgaben der türkischen Zeitungen Hürriyet, Sabah und Türkiye. Die Türkiye macht mit der deutschen Schlagzeile „Wir wollen Gerechtigkeit“ auf. Trotzdem hat Enes nicht mehr türkische Zeitungen als sonst verkauft. Die Menschen im Kiez hätten andere Probleme – steigende Mieten, Kriminalität, Arbeitslosigkeit. Viele alteingesessene Familien hätten den Kiez in bereits verlassen. „Wenn das so weitergeht, gibt es in zehn Jahren keine Türken mehr in Kreuzberg“, sagt Enes.

Ähnlich sieht es Ahmet Akca, der auf der anderen Straßenseite ein Fotogeschäft betreibt. „Viele Leute im Kiez haben ihren eigenen Probleme und für anderes wenig Zeit“, sagt Akca. Der 40-Jährige, der seit knapp 30 Jahren hier lebt, findet, dass der Prozess viel zu stark von der Politik vereinnahmt worden sei. Auf dem Rücken der Opfer würden politische Differenzen zwischen Deutschland und der Türkei ausgetragen – dabei gerate das Wesentliche aus dem Blick: „Da sind Leute gestorben, dass hätte auch meine Familie sein können“, sagt Akca.

Auf das Leben in der Oranienstraße habe der Prozess aber keine Auswirkungen. „Das ist Multikulti hier, und da gibt es natürlich Probleme“, sagt Akca. „Aber diese Probleme kann man nicht in einem Münchner Gericht lösen“.

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