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Deutschunterricht: Der indische Geschichtenerzähler

Rajvinder Singh, der Mann mit dem klingenden Namen, ist ein Ass in Deutsch. Kein Wunder - der Schriftsteller ist promovierter Germanist. In seiner Berliner Schreibwerksatt erlernen Schüler die Schönheit von Reim und Sprache.

Gespannte Stille liegt über dem Klassenraum 204 der Fritz-Karsen-Schule in Britz. Soeben hat für 15- und 16-Jährige aus drei 10. Klassen ein Literaturkurs als Teil des Wahlpflicht-Unterrichts begonnen. Der Mann, der den Jugendlichen beibringt, wie eine Geschichte in deutscher Sprache geschrieben wird, hat sehr dunkle Augen und einen imposanten Bart. Es ist der in Berlin lebende Inder Rajvinder Singh.

In geschliffenem Deutsch macht der 52-jährige Autor und Dichter die Regeln für die nächsten zwei Stunden klar: "Vier Gruppen, die sich gegenseitig ihre Geschichten zeigen. Ich komme herum und korrigiere. Dann fügen wir die Teile zum Ganzen." Das Thema steht schon fest: Indien. Nach kurzem Gemurmel verteilen sich die Schüler.

Ex-Stadtschreiber mit langer Geschichte

Seit mehr als zwölf Jahren bietet der Ex-Stadtschreiber von Trier und Remscheid seine "Schreibwerkstatt" an. Bislang in Wuppertal, Kornwestheim, Kassel, Remscheid und am Dresdner St.-Benno-Gymnasium. In Berlin ist er regelmäßig im Tagore-Gymnasium Hellersdorf sowie am Humboldt-Gymnasium Tegel und eben in Britz zu Gast.

Singh kam 1980 als Doktorand nach West-Berlin. Daheim hatte der "zufällig in die Gemeinschaft der Sikh hinein Geborene", wie er sagt, Politische Ökonomie und Mathematik studiert. In Deutschland kamen Sprach- und Literaturwissenschaften hinzu. "Ich konnte kein Deutsch", erinnert sich der Vater einer kleinen Tochter. "Wie andere ihre Zeitung, so las ich dann in der U-Bahn Wörterbücher." Alles Bemühen um Integration sollte ihn trotzdem nicht vor einem Überfall von Rechtsradikalen im Januar 1990 in Berlin schützen. Der schon damals in diesen Dingen besonders aktive Ausländerbeirat Dresden nahm Singh daraufhin in seine Kulturkarawane auf, 1994 gründete Singh die Aktion "Courage" mit. Daraus wiederum ging das Schreib-Angebot hervor.

Etwas lasch und schnulzig

"Denn das Schreiben ist auch Lebenshilfe. Für die Schüler öffnet sich über diese Form des Dialogs oft ein neuer Horizont", sagt Singh. "Sie erfahren von mir die Schönheit der deutschen Sprache." Er wie auch der Leiter des Deutschkurses an der Schule, Jürgen Einbacher, schwören auf die nachhaltige Wirkung für die Schüler. Dabei ist Singh keineswegs der stets lächelnde Exot. Scharf kommen seine Anweisungen zu Grammatik und Rechtschreibung, unnachgiebig kritisiert er Schlampigkeit.

Wohl gerade deshalb feilen die Schüler besonders eifrig an ihren Texten. Nachwuchs-Punk Max hat gerade den Text seiner Gruppe vorgelesen, als Freya Platz nimmt und sachlich moniert: "Etwas lasch. So schnulzig geschrieben. Ich hab mehr Fakten drin, ihr habt eine Liebesgeschichte draus gemacht." "Das ist eine Liebesgeschichte!", kontert Nastassja. "Aha, na dann geht's", sagt Freya.

Als Ergebnis ein Buch und Gedichte in Stein

Delal und Stephanie haben im Computerkabinett ihre Beiträge bereits umgeschrieben. Hinter ihnen diskutiert Gruppe vier, ob indische Kühe langhaarig sind und ob, was Singh allerdings streichen will, ein Dieb vorkommen darf. Es ist bereits die fünfte Version ihrer Beiträge, an der sie arbeiten. "Wenn die ganze Story fertig ist, werden sie nicht mehr merken, wo welcher Teil anfängt", verspricht Singh.

Zum Tag der offenen Tür der Schule im Februar soll das Ergebnis vorgetragen werden. Ende 2008 erscheint es dann mit den Geschichten anderer Schreibwerkstätten von Singh als Buch. Das hat Tradition: 1996 gewann er mit seinen damaligen Schützlingen der Fritz-Karsen-Schule den Preis des dänischen Schriftstellerverbandes für die beste Schülergeschichte Europas. Singh selbst, der seit 1997 einen deutschen Pass hat, wird 2008 "verewigt" - in Trier werden sechs seiner Gedichte in Steintafeln gemeißelt.

Torsten Hilscher[ddp]

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