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Zahlreicher Zucker. Überernährung ist ein Faktor, der Diabetes ausbrechen lässt.

© picture alliance / dpa

Diabetes: Weniger isst mehr

Von Diabetes Typ 2 sind heute sogar Kinder und Jugendliche betroffen. Wie entsteht die Krankheit, wie kann man sie verhindern - und behandeln?

Diabetes mellitus Typ 2: Vor einigen Jahrzehnten übersetzte man das noch mit „Altersdiabetes“, da vor allem Ältere und Hochbetagte erkrankten. Lange vorbei. Da Bewegungsmangel und Überernährung immer öfter bereits im Kindesalter zu Übergewicht führen, werden auch die Diabetes-Typ-2-Patienten immer jünger. Selbst Kinder und Jugendliche sind heute betroffen. Diabetes ist allerdings kein Phänomen der Moderne, sie war bereits im Ägypten der Antike eine Plage. Griechische Ärzte gaben ihr den Namen Diabetes mellitus: „Honigsüßer Durchfluss“. Denn Diabetes-Erkrankte scheiden mit ihrem Urin auch jede Menge nicht verstoffwechselten Zuckers aus.

Die WHO unterteilt Zuckerkranke in zwei Gruppen: Diabetes mellitus Typ 1, eine erworbene Autoimmunerkrankung, bei der körpereigene Abwehrzellen die Produktionsstätten des Insulins attackieren. Und Diabetes mellitus Typ 2, eine chronische Stoffwechselkrankheit, bei der der Körper das lebenswichtige Insulin nicht mehr richtig nutzen kann oder nicht ausreichend ausschüttet. Folge: Zucker wird nicht in Zellen transportiert – die ihn eigentlich benötigen würden –, sondern konzentriert sich im Blut und schädigt Gefäße, Nerven und Organe. Neun von zehn Zuckerkranken leiden unter einem Diabetes Typ 2, mit drastischen Folgen: Nierenversagen, Erblindung, Herzerkrankungen, Nervenschäden, Amputationen von Zehen und Füßen oder Schlaganfälle können Langzeitfolgen sein.

„Das Tückische an einem Diabetes Typ 2 ist, dass die Symptome sehr subtil sind und er deshalb oft lange Zeit unerkannt bleibt“, sagt Wieland Zittwitz, Diabetologe im MVZ am Bahnhof Spandau. Obwohl das Blut der Betroffenen geradezu überschwemmt wird vom Energieträger Zucker, klagen sie oft über Müdigkeit, Leistungsschwäche oder Konzentrationsstörungen. Verantwortlich ist das mangelnde oder unwirksame Insulin. Denn ohne das Hormon gelangt der Blutzucker nicht in die Zellen, wo er zur Energiegewinnung gebraucht wird. Zudem können die Betroffenen unter häufigem Harndrang leiden, da der überschüssige Blutzucker Wasser bindet, das über den Urin ausgeschieden wird. Auch Pilzinfektionen an Genitalien und Harnwegen treten häufiger auf, da der mit dem Urin ausgeschiedene Zucker ein idealer Nährboden für Bakterien und Pilze ist. Für sich allein genommen sind diese Symptome aber meist zu unspezifisch, um als Krankheitszeichen erkannt zu werden. In vielen Fällen wird Diabetes Typ 2 zufällig entdeckt. „Oft besteht er dann schon länger, etwa vier bis sechs Jahre“, so Zittwitz. Manchmal sogar bis zu 15 Jahre, bevor er bei der Diagnose einer Folgekrankheit, beispielsweise an Augen, Nieren oder Füßen, entdeckt wird.

Viele Diabetiker spüren nicht, dass sie am Fuß verletzt sind

Wird der Diabetes früh erkannt, können Spätfolgen vermieden werden. Ein schlecht eingestellter oder gar nicht behandelter Zucker kann jedoch dramatische Folgen haben. Da er Gefäßwände schädigt, tragen Diabetiker ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nieren- und Nervenschäden. „Das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, ist bei Diabetikern genauso hoch wie bei Menschen, die bereits eine Infarkt erlitten haben“, sagt Zittwitz. Auch die Schlaganfall-Gefahr ist um das Zweifache erhöht. Zudem ist Diabetes mellitus die häufigste Ursache für Amputationen, die nicht durch Unfallverletzungen bedingt sind. „Aufgrund der Nervenschäden am Fuß spüren viele Diabetiker Verletzungen nicht“, sagt Zittwitz, „sie laufen auf ihren Wunden.“ Männliche Diabetiker klagen mitunter über Erektionsstörungen, sogenannte erektile Dysfunktionen, wenn durch eine Schädigung der Blutgefäße des Schwellkörpers der Blutfluss gestört wird.

Etwa sieben Millionen Menschen leiden in Deutschland an Typ-2-Diabetes, Tendenz steigend. „Bei 50 bis 75 Prozent von ihnen trat der Zucker zuvor bereits in der Familie auf“, sagt Zittwitz. Es gibt also eine genetische Veranlagung. Aber letztlich führen erst die Lebensumstände zum Ausbruch. Oft heißt das: Überernährung und zu wenig Bewegung. Unübersehbare Folge ist die immer weiter verbreitete Adipositas. Hinzu kommen die üblichen Verdächtigen: Alkohol und Nikotin tragen zwar nicht zum Diabetes selbst bei, schädigen aber die Gefäße und erhöhen damit das Risiko von Folgeerkrankungen.

Für die Fachgesellschaft ist ein Blutzuckertest die präziseste Methode

Bei einem Verdacht auf Zuckerkrankheit wird der Arzt zuerst nach Symptomen wie häufigem Harndrang und Durst, Leistungsschwäche oder Diabeteserkrankung in der Verwandtschaft fragen, dann Tests durchführen und von einem Labor auswerten lassen. „Der zurzeit geltende Goldstandard für Diabetes-Diagnostik ist die Messung von Glukose im venösen Plasma“, heißt es in den Leitlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Damit favorisiert die Fachgesellschaft Blutzuckertests als präziseste Methode. Im Wesentlichen gibt es zwei Verfahren: die Messung des Nüchternblutzuckers und die Bestimmung des HbA1c-Werts. Anhand einer Blutprobe wird zunächst der Nüchternblutzucker gemessen. Überschreitet er 126 Milligramm pro Deziliter an mehreren Messtagen, liegt wahrscheinlich ein Diabetes vor. Ein weiterer wichtiger Bluttest ist der sogenannte HbA1c- Wert, eine Art Blutzucker-Langzeitgedächtnis: HbA1c ist ein Stoff, der im roten Blutfarbstoff eine Verbindung mit Zuckermolekülen gebildet hat. Diese Verbindungen lassen sich noch etwa drei Monate lang nachweisen. „Diese Tests sind allerdings nur aussagekräftig, wenn sie im Labor durchgeführt wurden“, sagt Zittwitz. In Apotheken erhältliche sogenannte Blutzucker-Sticks seien zu unpräzise.

Um den Blutzucker zu senken, empfehlen Fachgesellschaften einen Vier-Stufen- Plan. In der Basisbehandlung geht es darum, ungesunde Gewohnheiten abzulegen, Sport zu machen, die Ernährung auf Vollwertkost und zuckerarme Lebensmittel umzustellen. Kann der gewünschte HbA1c-Wert mit der Basistherapie nicht erreicht werden, zündet Stufe 2: die medikamentöse Therapie mit einem Antidiabetikum. Kann auch damit allein der HbA1c-Zielwert nicht erreicht werden, wird die Therapie um ein weiteres Präparat ergänzt oder Insulin gespritzt (Stufe 3). In der vierten Stufe wird die Medikamentengabe weiter intensiviert und sowohl Insulin als auch orale Antidiabetika verschrieben. „Grundsätzlich gilt, dass die medikamentöse Therapie keinen gesunden Lebensstil ersetzen kann“, resümiert Diabetologe Zittwitz.

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