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Jeder kann Berliner werden. Wir wissen nicht, woher der Narr ursprünglich stammt, der bei der Weiberfastnacht im Bundestag in diesem T-Shirt mit lokalpatriotischem Aufdruck mitfeierte. Ist ja auch egal. Hauptsache, er fühlt sich heimisch. Foto: dpa/Alina Novopashina

© picture alliance / dpa

Dialekt ist wieder in Mode: Die Berliner Schnauze lebt

Knorke: Steter Zuwanderung und Sprachimport zum Trotz erfreut sich der angestammte Dialekt neuer Wertschätzung. Es darf berlinert werden!

Sie verstummt nicht, unsere Berliner Schnauze. Lange sah es danach aus, doch inzwischen gilt der an Wortwitz reiche Dialekt („Ick lach ma’n Ast und setz mir druff“) wieder als knorke. Bei einer Umfrage im Auftrag der Gesellschaft für deutsche Sprache gaben unlängst 62 Prozent der befragten Berliner ab 14 Jahren an, zumindest hin und wieder zu berlinern.

Berliner Schnauze lebt. Und wie jede lebendige Sprache nimmt auch unsere Mundart immerzu Neues auf. Wie vor 100 Jahren Schlesier, Ost- oder Westpreußen, so bringen auch heute die mehr als 40 000 Neuberliner, die sich jedes Jahr hier niederlassen, Wörter und Redewendungen mit. Manche davon schlagen Wurzeln, andere verflüchtigen sich wieder. Das Idiom der Stadt färbt ab, es wirkt identitätsbildend im Sinne: Hier jehör’ ick her. Die Annäherung zwischen Sprecher und Dialekt ist immer auch Austausch und wie jede Liebesbeziehung ein Prozess beidseitiger Anverwandlung.

So verändert sich auch das Berlinische: Was früher knorke war, ist heute geil, ein Wort, bei dem man damals noch rot wurde. Was die Elektrische, dann die Straßenbahn war, ist kurz die Tram. Aber wir loofen immer noch jerne barfbeenich übern Rasen, und der Baum bleibt ’n Boom, wenn ooch die Bäume keene Bööme mehr sind. Den Sonnahmt und die Schrippe lassenwa uns sowieso nich nehm’, da könn’ sich die Neuberlina aus der janzen Welt koppstellen.

In einem Leserbrief an den Tagesspiegel las ich neulich: „Mir tut es jedes Mal weh, wenn ich ,dit is‘ lese … ,Det is‘ sagt der echte Berliner.“ Doch was ist schon echt in diesem ewigen Schmelztiegel? Tatsächlich taucht „dit“ in einem Buch von 1904 über unsere Mundart samt „Berliner Grammatik“ nicht auf, nur „det“, das zu „dette“ wird, wenn „dass du“ gemeint ist. Mittlerweile isses wurscht, obste dis, det oder dit sachst. Nur klingt dis und dit nicht so grobschlächtig wie det.

Das Berlinische hatte sogar lokale Unter-Mundarten, die nach der großen Eingemeindung von 1920 verblassten. Im Norden und Nordosten Alt-Berlins sagte man dis, im Osten det. Der Friedrichshain war die Scheidegrenze. Auch das Teltower und das Barnimer Platt haben auf die Stadtsprache eingewirkt, erst recht die vielen Zuwanderer, die uns Wörter aus dem Französischen, Jiddischen, Tschechischen, aus Schlesien, Pommern oder Danzig bescherten. Doch erst, als die Stadt zur Industriemetropole und Reichshauptstadt aufstieg, hat der „Stadtjargon“ das märkische Platt verdrängt, auch in Brandenburg.

Meine Tante war eine waschechte Berlinerin mit umwerfendem Mutterwitz. „Ess ma, ess!“, sagte sie, aber: „Wann isst ihr?“ Oder: „Kiek ma, et schneet.“ Grauenvoll, dachte ich, bis ich dahinterkam, dass sie ganz richtig berlinerte, nur ehmt (eben) „wie jestern“. Im Alter ulkte sie über ihr schütteres Haar: „Ach Jott, mir wächst der Kopp durch de Haare.“ Und ihr Leben in Ost-Berlin umriss sie mit knapper Ironie: „Bei uns derfste nur I-A sagen!“

Selten wird noch mir und mich, dir und dich verwechselt, was vom niederdeutsch gleich lautenden mi und di im 3. und 4. Fall herrührte. Es ist noch an „ma“ erkennbar: Ick hab ma (mir) ’n Schnuppen jeholt. Hab da (dich) nich so! „Icke“ muss allein stehen. Wer ist da? Icke! Der Genitiv wird meistens mit dem Dativ umschrieben. Man fragt zwar nicht mehr: Wem seine/ihre oder gar wems Buch? Man antwortet aber: Das Buch von Vater oder Mutter ihrs. Selbst die Aussprache hat ihre Tücken, da es keine verbindliche Schriftsprache gibt und die Zuwanderer ihre eigene Klangfarbe haben. Macht nüscht oder nischt. Berlinert wird trotzdem mehr oder weniger grob oder dezent. Man muss nicht, kann aber und tut es bei passender Gelegenheit.

Nun wächst die Stadt wieder wie seit Jahrzehnten nicht. Menschen aus 190 Nationen leben hier. Wenn sie sich nicht gleich an Äppel, Kürschen, Flaumen, Schocklade, Jurken und Katoffeln, Kürche und Pullezei gewöhnen, so doch an den Reiz der Berliner Schnauze: den Tonfall, die Ironie, Schlagfertigkeit, den unverhofft aufblitzenden Sprachwitz. Dazu haben jewordene Berliner zu allen Zeiten mit Lust beigetragen. Wat? Det jeht nich mit Türken, Vietnamesen oder Indern? „Jeht nich jibs nich“, erklärte mir eine Weddingerin aus Istanbul. Da war ich baff.

Brigitte Grunert war bis 2003 landespolitische Korrespondentin des Tagesspiegels. Sie ist Autorin des Buches „Die Berliner Mundart. Ein Sprach(ver)führer“, erschienen im Be.bra-Verlag.

Der Berliner Dialekt nimmt wieder zu

DIE UMFRAGE

Die Wertschätzung für den Berliner Dialekt nimmt zu, folgern Sprachforscher aus einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Herbst 2014 im Auftrag der Gesellschaft für deutsche Sprache gemacht hat. Befragt wurden dafür 1001 Berliner.

ÄLTERE BERLINERN LIEBER
62 Prozent aller Befragten gaben an, selbst „hin und wieder“ Berliner Dialekt zu sprechen. In der Gruppe der 45- bis 59-Jährigen gaben sogar 71 Prozent an, das Berlinische zu nutzen. Bei den Jüngeren, den 14- bis 29-Jährigen, gaben das immerhin 53 Prozent an.

ERHÖHTE AKZEPTANZ
Noch immer wird im Ostteil der Stadt mehr berlinert als im Westen, wo der Dialekt lange als Proletensprache galt. Das hat sich gändert. Heute wird das Berlinische überwiegend positiv bewertet, es gilt als „schlagfertig“ (80 Prozent), „frech“ (78) und „ehrlich“ (75).

HIER WIRD BERLINERT
Am häufigsten berlinert wird in Lichtenberg-Hohenschönhausen, Marzahn-Hellersdorf, Pankow, Reinickendorf und Spandau, am wenigsten in Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte.

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