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Kazim Erdogan, Gründer der "Initiative für ein noch besseres Neukölln".

© Kitty Kleist-Heinrich

Dialogversuch in Neukölln: Wie Muslime und Christen ihre Sprachlosigkeit überwinden

Am Donnerstag laden Neuköllner Vereine zum Dialog zwischen Muslimen und Christen ein. Kazim Erdogan ist einer der Organisatoren.

Von Sandra Dassler

Wenn sich Kazim Erdogan Menschen, die ihn noch nicht kennen, vorstellt, sagt er mittlerweile im gleichen Atemzug wie seinen Namen: „Nicht verwandt oder verschwägert mit dem türkischen Präsidenten.“ Auf die Frage, ob er froh darüber ist, nicht mit Recep Tayyip Erdogan verwandt zu sein, schüttelt er ein klein wenig missbilligend den Kopf: „Wenn ich das jetzt bejahe, würde ich den Staatspräsidenten als Menschen abwerten, das liegt mir fern. Ich bin vielleicht mit vielem, was er tut, nicht einverstanden, aber deshalb lehne ich ihn nicht ab. So wie ich keinen Menschen ablehne.“

Kazim Erdogan nimmt man das ab. Der Neuköllner Psychologe und Soziologe leitete die ersten Selbsthilfe-„Väter“-Gruppen für türkische Einwanderer und gilt als einer der anerkanntesten Integrationsexperten nicht nur in Berlin. Am Donnerstag lädt er gemeinsam mit dem Treffpunkt Religion und Gesellschaft e.V. „alle Menschen zum gemeinsamen Reden ein“. Im Interkulturellen Zentrum Genezareth am Herrfurthplatz sollen Muslime und Christen unter dem Motto „Türkisch- Deutsch, zwischen Baum und Borke, Schweigen hilft auch nicht!“ endlich wieder miteinander und untereinander ins Gespräch kommen.

Unverständnis nach Armenien-Resolution

Das hoffen jedenfalls die Organisatoren und besonders Kazim Erdogan. Immerhin hat sich der aus Anatolien stammende Psychologe mehr als vier Jahrzehnte lang für ein friedliches Miteinander von Türken und Deutschen, für gegenseitiges Verständnis und Toleranz stark gemacht. In diesem Jahr musste er erleben, wie viele seiner Bemühungen und Erfolge in weniger als vier Monaten zunichte gemacht oder zumindest in Frage gestellt wurden: Nachdem der Bundestag am 2. Juni die umstrittene Armenien-Resolution verabschiedet hatte, herrschte großes Unverständnis bei vielen Türken in Berlin. Trauriger Tiefpunkt des gestörten Verhältnisses war die Ausladung von deutschen Politikern, die eigentlich zum Fastenbrechen in türkische Moscheen oder muslimische Vereine eingeladen waren. „Die Folge war, dass zu unseren Dialog-Veranstaltungen fast keine Menschen mit türkischen Wurzeln mehr kamen“, sagt Kazim Erdogan.

Noch schlimmer wurde es nach dem Putschversuch in der Türkei im Juli und den daraus folgenden Repressalien vor allem gegen vermeintliche und tatsächliche Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, den Präsident Erdogan für den Putschversuch verantwortlich machte.

„Es gab innerhalb der türkischen Community schlimme Dinge“, erzählt Kazim Erdogan: „Es wurde dazu aufgerufen, nicht bei Menschen, die angeblich Gülen-Sympathisanten waren, einzukaufen. Kinder durften nicht mehr in bestimmte Schulen gehen, es wurde dazu aufgerufen, Mitbürger zu denunzieren. An Moscheen hingen Zettel, auf denen stand, dass Gülen-Anhänger hier unerwünscht seien.“ Als er dies öffentlich verurteilte, weil es ihn an das „Dritte Reich“ erinnerte, bekam Kazim Erdogan selbst Hassmails und Drohungen.

Die Risse gehen durch Familien

„Viele Türken wagten sich nicht mehr, offen zu reden“, sagt er. „Aber mit Schweigen kann man auch keine Probleme lösen. Die Risse gehen durch Familien, zerstören Freundschaften und leider können viele Kontrahenten überhaupt nicht mehr differenzieren: „Entweder bin ich für oder gegen Präsident Erdogan, für oder gegen Prediger Gülen – es gibt überhaupt kein Dazwischen mehr.“

In den vergangenen Wochen seien die Gräben, aber auch die Ängste der Menschen, noch tiefer und größer geworden, sagt Kazim Erdogan. Deshalb sei es an der Zeit, sich einander wieder zuzuhören. Sich klarzumachen, dass eine andere Meinung zu haben, kein Grund zur Ausgrenzung sein dürfe.

Murmelgruppen und Redesteine

Unterstützt wird das Projekt am Donnerstagabend von zahlreichen Vereinen in Neukölln. „Wir müssen den Dialog fortsetzen“, sagt auch Pfarrerin Elisabeth Kruse, die Beauftragte für interreligiösen Dialog und interkulturelle Arbeit im Evangelischen Kirchenkreis Neukölln. Für den ersten Versuch, die Betroffenen wieder miteinander ins Gespräch zu bringen, hat sie sich einiges einfallen lassen. So wird es sogenannte Murmelgruppen geben, in denen in gedämpfter Lautstärke diskutiert werden kann. Ebenfalls in kleinen Gruppen werden „Redesteine“ zum Einsatz kommen: Nur, wer den Stein hat, darf etwas sagen, die anderen hören zu, erklärt Elisabeth Kruse das Prinzip. Wichtig sei, dass man alle ernstnehme. Und eben keinen Menschen ablehne.

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