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Berlin: Dicke Muckis um jeden Preis

Die unterschätzte Behörde: Zollfahnder können und dürfen weit mehr als andere Polizisten – das hilft im Kampf gegen illegale Drogen für die Bodybuilder-Szene

Zu den besonders gut gesicherten Orten zählen nicht nur Baustellen von Geheimdienstzentralen oder Botschaften von Ländern, die als Objekte terroristischer Begierden gelten. Auch die zentrale Asservatenkammer des Zolls ist von einem Hauch Geheimnis umgeben. Das Wort Kammer klingt genau genommen viel zu biedermeierlich für diese Lagerräume mit den funktionalen Metallregalen bis unter die Decke. Sie liegen irgendwo unter dem weitläufigen Gelände des Hauptzollamts Berlin zwischen Columbiadamm, Platz der Luftbrücke und Schwiebusser Straße, geschützt durch mehrere schwere Stahltüren mit Sicherheitsschlössern.

Gleich hinter der ersten Tür zu diesem Asservatenkeller riecht es eigenartig. Nach Apotheke oder so. „Nee, nee, das kommt immer noch von der Renovierung damals“, winkt Detlef Ramminger ab. „Da wurde ein Pilz entfernt und alles versiegelt.“ Mit den Arzneimitteln, die der Zollhauptsekretär und „Herr der Asservate“ uns zeigen will, hat der Geruch jedenfalls nichts zu tun. Die riechen nicht. Sie fallen zwischen den endlosen Kisten voller Zigarettenstangen allermöglicher gefälschter oder „nur“ geschmuggelter Marken auch kaum auf. Sie lagern in Klarsichttüten voller Pappschächtelchen und Plastikfläschchen mit einschlägigen verräterischen Namen. ANABOL TABLETS, zum Beispiel. In der Szene auch als „Thais“ bekannt. Ursprünglich hieß der Stoff Dianabol, war bis zum Verbot ein Schweizer Markenpräparat, verursacht Bluthochdruck, Akne, Haarausfall und ins weibliche schwellende Brüste und gilt als „Mutter aller Anabolika“. Das Internet ist dennoch voll davon und von unzähligen anderen anabolen Steroiden und Wachstumshormonen. Sie kommen meistens unauffällig mit der Post von getarnten Anbietern, und jedes zweite ist eine Fälschung. Substanzen, mit denen Männer sich ihrem offenbar ersehnten Idealbild eines muskelstrotzenden Mutanten annähern möchten, und Frauen auch. Koste es, was es wolle.

„Der Handel mit diesen Präparaten explodiert“, sagt Norbert Scheithauer, „wir haben 2007 solche Arzneimittel im Wert von 8,2 Millionen Euro sichergestellt, das ist im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um sechshundert Prozent.“ In Berlin hat das Geschäft mit illegalen Wachstumshormonen, anabolen Steroiden und Potenzmitteln zum ersten Mal im Sommer 2006 mediales Aufsehen erregt.

Zoll, Landeskriminalämter und Bundespolizei samt GSG 9 durchsuchten 52 Objekte, 36 davon allein in Berlin. In Wohnungen und Fitness-Studios beschlagnahmten sie illegal Eingeführtes aus aller Welt und illegal Gepanschtes aus einem Labor in Büsum. Ein paar Topstars der Bodybuilder-Szene wurden festgenommen und stehen seit April 2008 in Berlin vor Gericht. Das Verfahren ist nicht nur wegen seines Umfangs ein „Maxi-Prozess“, wie die großen Mafia-Verfahren in Italien heißen.

Schon gleich nach der Razzia hatte der Berliner Staatsanwalt Cloidt bei der Pressekonferenz berichtet, das aufgeflogene Netzwerk zeige „alle Merkmale einer kriminellen Vereinigung, zum Beispiel Konspiration und Gewalt gegen Szeneaussteiger“. Auch Zolloberinspektor Scheithauer, selber lange Jahre als Fahnder operativ und ermittelnd tätig, bevor er 2008 Pressesprecher des Zollfahndungsamts (ZFA) Berlin-Brandenburg wurde, nennt die Dinge beim Namen. „Wir gehen davon aus, dass die organisierte Kriminalität hier ihre Finger im Spiel hat.“ Und er weiß auch, warum: „Die Gewinnspannen sind mittlerweile um ein Vielfaches höher als beim klassischen Rauschgifthandel mit Kokain oder Heroin.“

Bei der bislang größten bundesweiten Razzia im März 2008 wurden 1, 3 Tonnen Anabolika aus dem Verkehr gezogen. Schwarzmarktwert: 800 000 Euro. Hauptverdächtigter: ein Berliner Transportunternehmer. Der Stoff, aus dem die ungesunden Träume sind, kam diesmal aus China, Spanien, dem Libanon und dem Iran. So legal er produziert sein mag, ihn einzuführen ist grundsätzlich illegal. Das Arzneimittelgesetz (AMG) verbietet es, und für die Kontrolle von Ein- und Ausfuhren ist der Zoll zuständig. Das ZFA hat dafür seine Spezialisten vom „Sachgebiet 700 VuB“. Das Kürzel steht für Verbote und Beschränkungen, klingt unspannend, reflektiert aber einfach nüchtern die juristische Unterscheidung zwischen Substanzen, deren Einfuhr Beschränkungen unterliegt, und solchen, die strikt verboten sind. Zu Letzteren gehören Drogen von A wie Amphetamin bis X wie XTC oder Ecstasy, aber eben auch fast alles, was das Bodybuilder-Herz in jeder Beziehung zum Rasen bringt.

Die Arbeit, sagt Peter Amarell, ist sehr wohl spannend, vor allem, seit Doping dank Fitnesswahn eine Art Breitensport geworden ist. Er ist seit 1983 Zöllner und die meiste Zeit davon als Fahnder. „Ich kann mir nichts anderes wirklich vorstellen – das Suchen und dann auch Finden, das ist doch ein besonderer Reiz!“ Und jeder Ermittlungsvorgang hat seine Eigenheiten. „Bloß, wenn man sich festfährt oder wenn man genau weiß, wie etwas läuft, aber man kann es nicht beweisen, dann hat man schon mal die Nase voll“, lacht er. Aber das hält nie lange an. Die nächste Razzia kommt bestimmt, morgen früh ab halb fünf, zum Beispiel.

Das AMG ist nicht das einzige Gesetz, das der Zollhauptsekretär beherrschen muss. Strafbar ist auch die Einfuhr von Arzneimitteln, die nach dem Washingtoner Artenschutzabkommen verbotene Tier- und Pflanzensubstanzen enthalten – also viele Präparate der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) – oder das Markenrecht verletzen, also gefälscht sind. Auch die Quellenlage ist alles andere als übersichtlich. „Weltweit gibt es legale Pharmabetriebe, die anabole Steroide herstellen, wir haben Osteuropa als einen Schwerpunkt, Russland, Bulgarien, Polen, aber auch Südostasien, Ägypten, die Türkei“, zählt Amarell auf. „Und daneben gibt es Untergrundlabore und sogar einzelne Bodybuilder, die sich die Sachen selbst zusammenmischen.“ Nach Rezepturen ebenfalls aus dem Internet. Das macht die Einnahme noch riskanter, aber vielleicht ein bisschen erschwinglicher.

Wer ein wettkampftauglicher Bodybuilder werden will, investiert in eine einzige 12-wöchige „Aufbaukur“ zwischen vier- und zehntausend Euro, und er (oder sie) macht die nicht nur einmal im Leben und manchmal auch jeweils dreimal so lange. Medikamente zur Dämpfung der Nebenwirkungen und Therapien der Folgeschäden sind in dem Preis noch nicht inbegriffen. Tag für Tag Spritzen mit vier bis acht Injektionseinheiten Wachstumshormon plus sechs, sieben andere chemische Keulen in Pillenform: unter anderem Ephedrin, ein amphetaminähnlicher „Fettverbrenner“, das Sexualhormon Testosteron, das Steroid Trenbolon, mit dem andernorts Ochsen (illegal) gemästet werden, und Furosemid, ein Diuretikum, das das Wasser wieder raustreiben soll.

Alles hochdosiert und brandgefährlich. Es hat schon Tote gegeben. Als Minimum garantiert sind Leber- und Herz-Kreislaufschäden, eine Haut übersät mit der berüchtigten Bodybuilder-Akne und so dünn, dass die Adern freiliegen wie Überputzkabel. Obendrein gilt, wo Muskeln allzu massig anschwellen, schrumpft der Rest: die Zeugungsfähigkeit zum Beispiel, auch äußerlich. Dann muss Viagra her. Und allerlei anderes, Antidepressiva zum Beispiel.

„Wir haben hier schon Bodybuilder gehabt, die das selbst als Sucht bezeichnet haben“, erzählt Amarell. Warum Menschen sich das alles antun, hat er noch nicht herausgefunden. „Die finden das eben attraktiv und erstrebenswert“, sagt er schulterzuckend. Er hat ohnehin weniger Ästhetisches als Tragisches im Blick. Der Preis für diese Elixiere des Teufels ist so hoch, dass ihn höchstens ein paar Promille der User, die Superstars der Bodybuilder-Szene, bezahlen können. „Die Preisgelder der Wettkämpfe decken den Bedarf nicht, die zahlen in jeder Beziehung drauf – gesundheitlich, finanziell...“ Und immer häufiger kommt noch ein Preis dazu: der Preis der Freiheit.

Wer seinen Stoff legal nicht finanzieren kann, verstrickt sich leicht in illegalen Handel. Der allerdings kann ihn bis zu zehn Jahren ins Gefängnis bringen. Und das Risiko hoher Strafen steigt. Im derzeitigen Berliner Maxi-Prozess wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten auch die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor – ein anderes Wort für organisierte Kriminalität. Solche größeren, auch europa- und weltweiten OK-Strukturen hat der Zoll systematisch im Visier, insbesondere durch seine Fahnder. Sie sind so etwas wie „die Kripo des Zolls“, sie haben auch ihre Spezialeinheiten für Observation, für verdeckte Ermittlung und Verbindungspersonen und für gefährliche Zugriffe zur Verfügung und sind regional aufgeteilt. Aber anders als die Polizei fällt der Zoll nicht unter die Länderhoheit, sondern untersteht dem Bundesfinanzministerium. Die acht ZFÄ werden vom zentralen Zollkriminalamt in Köln geführt.

Der Zoll ist immer noch „Deutschlands unbekannte und unterschätzte Polizei“. Dabei hat er entschieden mehr Befugnisse, auch solche, die – sobald Innenminister oder Polizeiführungen laut darüber nachdenken – zu heftigen Debatten führen. Zum Zoll gehört zum Beispiel eine Zentrale Internet-Recherche-Einheit (ZIRE), die systematisch im Netz fischen darf und ihre Erkenntnisse den Fahndern zur Ermittlung weiterleitet. Der Zoll darf auch in der nicht-virtuellen Welt „proaktiv“ ermitteln, also nicht reaktiv erst, wenn eine Straftat begangen und jemand geschädigt wurde. „Wir sind als einzige Behörde ermächtigt, auch verdachtsunabhängige Kontrollen durchzuführen“, erläutert Norbert Scheithauer. „Die Bundesrepublik Deutschland steht immer als Geschädigte im Hintergrund, und wir sind auf Beobachtung der Warenströme angewiesen.“ Marktbeobachtung – bundes-, europa- und weltweit.

Zollbehörden sind gut vernetzt, ihre Amtshilfewege auch international kurz und gerichtsverwertbar. Vor allem aber sind die Fahnder – nicht nur deren spezielle OK-Abteilung – immer auch auf unmittelbaren „Schadensausgleich“ geeicht. Im Fachdeutsch heißt das Vermögensabschöpfung. Bei der Razzia, die auf Peter Amarells Programm stand, kamen 75 000 Euro zusammen – Bargeld, Kontoguthaben, ein teures Auto und das komplette Equipment eines Fitnessstudios. Bei all den klammen Anabolika-Junkies, die mit auffliegen, ist Geld kaum zu holen. Sie zahlen den Preis leibhaftig. Im Knast erwartet sie, wenn sie Glück haben, höchstens eine schäbige Mucki-Bude. Und hoffentlich eine gute Krankenstation.

Pieke Biermann

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