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Die 38 000-Euro-Klassenfahrt: Mit unbegrenzten Möglichkeiten reisen

Die Klassenfahrt in die USA wäre für die Berliner Schüler auch kostengünstiger zu haben gewesen - und das Geld hätte auch auf anderen Wegen aufgetrieben werden können. Die Debatte könnte Solidarität beflügeln. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Nehmen wir mal an, Sie hätten kunstinteressierte Kinder, die auf dem Gymnasium einen Englisch-Leistungskurs belegen und gerne die USA kennenlernen würden, obwohl sie die Amerikaner eigentlich nicht so richtig mögen – und stellen Sie sich bitte vor, Sie möchten das unterstützen, haben aber leider kein Geld. Und dann kommt jemand und sagt: Hej, da wäre eine Reise nach New York doch das Richtige, ich hab ’ne Idee, kostet auch nichts. Eltern, die da nicht „super!“ sagen, müssen erst erfunden werden. Vor Ort begreifen die Kinder, dass die USA eine Multikulti-Gesellschaft sind, die man gerade deshalb lieben kann, eine Woche Big Apple, dazu ein Besuch im Museum of Modern Art, und alles in Englisch – kein Zweifel: Das ist eine Erfahrung fürs Leben.

Was an alledem ist falsch? Nichts. Und doch ist es nur die halbe Wahrheit. Dieser USA-Trip von 15 Schülern des Kreuzberger Robert-Koch-Gymnasiums konnte nur stattfinden, weil alle Eltern, als Bezieher von Sozialtransfers, für ihre Kinder Anspruch auf die Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, kurz: BuT, haben. Die 2100 Euro, die „das Amt“, wie es in Berlin immer heißt, wenn es was für lau gibt, pro Kopf ausschüttete, hätte kein normales Elternpaar in Berlin übrig gehabt – von den vielen Alleinerziehenden mal ganz abgesehen.

Muss man daraus schließen, dass das ganze BuT-Paket zur Selbstbedienung einlädt? Nein. Hier haben Kontrollmechanismen versagt. Hier hätte eine Schulkonferenz, hätte eine Elternvertretung schon vor Jahren die Frage stellen müssen, wo die Grenzen sind. Zwar hat das Bundessozialgericht bereits 2008 – als das BuT- Budget noch nicht existierte – festgelegt, dass es bei Schulreisen keine Obergrenze geben muss. Das Land Hessen hat dennoch eine gesetzt, Schulen können das auch, gerade im Interesse all der Normalverdiener, denen das Amt nichts zuschießt, die die Mittel aber einfach nicht haben. Verstand könnte auch bei wohlhabenden Eltern einsetzen. Destinationen in fernen Kontinenten als Ziel von Kurs- und Klassenreisen, das ist schon ziemlich überspannt – und egoistisch.

Und wenn die Ziele aus wohlerwogenen Gründen doch einmal weit gesteckt sind? Jugendliche sind sehr fantasiebegabt, wenn es gilt, Geldquellen zu erschließen. Klassen können Zuschüsse einwerben, Jungs und Mädchen nach der Schule arbeiten, Aushilfsjobs werden überall angeboten. Bei Schulfesten und Konzerten kann man sammeln. Stiftungen und vielleicht Botschaften unterstützen Projekte wie die Bildungsreise nach New York. Die hätte man übrigens viel billiger haben können als für 2100 Euro. Zwei Klicks im Internet reichen, um Flug und Unterkunft im YMCA-Hotel Upper West Side für 1500 Euro zu buchen.

Dass diese New-York-Reise jetzt so heftig diskutiert wird, hat auch gute Seiten. Da ist einmal die Freude, dass es so viele Jugendliche aus arabischen und türkischen Migrantenfamilien in die Kursstufe eines Gymnasiums schaffen. Da ist der Weckruf, an die schwierige Lage all jener Familien zu denken, die weder selbst viel Geld haben noch etwas vom Staat bekommen. Das ist nämlich die große Mehrheit in dieser Stadt. Schulen in sozialen Brennpunkten, die Jugendlichen einen Aufenthalt im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ermöglichen wollen, bräuchten Solidarität – vielleicht die von Unternehmen im Einzugsgebiet der Schule, die einen Förderverein unterstützen?

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