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Berlin: „Die Alten wollen raus aus dem Wald“

Aus Brandenburg will jeder weg? Die Bürgermeister erzählen etwas anderes Zumindest viele Städte sind so gefragt, dass es kaum noch Wohnungen gibt.

Neuruppin - Der jahrelange Trend junger Familien zum Häuschen im Grünen am Stadtrand ist vorbei. Das jedenfalls stellen immer mehr Brandenburger Bürgermeister von Städten mit einem historischen Zentrum fest. „Die Menschen wollen sich nicht mehr über die Zeitverluste durch die oft langen Fahrten zum Arbeitsplatz, zur Kita, in die Schule, ins Kino oder zum nächsten Krankenhaus ärgern“, sagte der Bürgermeister von Wittstock, Jörg Gehrmann (parteilos), am Freitag in Neuruppin. „Es gibt deshalb kaum noch Leerstand in den alten Straßen und Gassen. Unsere Städte machen derzeit einen großen Wandel durch.“

Diesen Trend bestätigte auch seine Amtskollegin aus der Havelstadt Brandenburg, Dietlind Tiemann (CDU). „Der Sog in die Innenstädte betrifft nicht nur die jungen Menschen“, erklärte sie. „Auch unsere Alten wollen nicht mehr im Wald leben, sondern möglichst alle Wege fußläufig oder mit dem Fahrrad erreichen.“ Deshalb fände auch das neue Mehrgenerationenhaus am Neustädtischen Markt einen großen Anklang.“

Diese Entwicklung ist allerdings teuer erkauft worden. Nach Angaben von Infrastrukturminister Jörg Vogelsänger (SPD) sind zwischen 1992 und 2012 rund 660 Millionen Euro in das Programm „Städtischer Denkmalschutz“ vom Land investiert worden. In diesem Jahr stehen demnach erneut 20 Millionen Euro bereit. „Zwei Drittel unserer Menschen leben im ländlichen Raum, wozu auch die kleinen Städte gehören“, meinte Vogelsänger. „Nur wenn wir diese weiterhin attraktiv halten, können wir den demografischen Wandel meistern.“

Oberbürgermeisterin Tiemann sieht sogar einen Zusammenhang zwischen einer lebenswerten Stadt und dem Bevölkerungswachstum. „Zur Wendezeit gab es überall verwaiste Innenstädte, weil das Geld nur für den billigeren Plattenbau am Stadtrand reichte“, erklärte die seit neun Jahren auf dem Oberbürgermeisterstuhl sitzende Politikerin. „Heute haben wir die zum Glück noch vorhanden gewesene Bausubstanz in Ordnung gebracht, so dass viele Menschen von draußen wieder ins Zentrum ziehen wollen.“ Dort befänden sich die meisten Bewohner inzwischen im Alter zwischen 18 und 44 Jahren. 2011 sei hier sogar ein Geburtenrekord seit der Wende registriert worden. Deshalb würden hier verstärkt Kitas, Schulen und Gymnasien gebaut. Da 22 Prozent aller Jobs in der Stadt im Gesundheitswesen besetzt würden, ziehe es verstärkt ganze Familien wieder in den 72 000 Einwohner zählenden Ort .

Selbst vor einigen Jahren wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten aus Brandenburg nach West- oder Süddeutschland und ins Berliner Umland ausgewanderte junge Leute machten nach Einschätzung vieler Bürgermeister inzwischen eine andere Rechnung auf. „Sie haben zwar bei uns weniger Geld auf dem Lohnzettel, dafür sind die Ausgaben fürs tägliche Leben als Familie doch geringer“, stellte Wittstocks Bürgermeister Gehrmann fest. „Schon die Kosten für die täglichen Autofahrten fallen wegen der kürzeren Wege geringer aus.“ Auch in Eberswalde, Potsdam oder Neuruppin gibt es deshalb kaum noch freie Wohnungen in den Zentren.

Damit es so bleibt, hat sich die vor 21 Jahren als Lobby-Verband gegründete Arbeitsgemeinschaft „Städte mit historischen Stadtkernen“ ein anspruchsvolles Thema gegeben: „Alte Stadt – Jugendfrei?!“ Mit Ausstellungen, Theater, Angeboten für Schulklassen oder Radtouren sollen die Angebote in den manchmal wie Puppenstuben restaurierten Zentren bekannter gemacht werden. Die vor einigen Jahren geäußerte Befürchtung, reine „Rentnerstädte“ zu sanieren, ist jedenfalls nicht eingetreten. Claus-Dieter Steyer

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