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Berlin: Die Angst geht um

Für den Antisemitismusbeauftragen ist in der Jüdischen Gemeinde kein Platz mehr.

Berlin - Eine Wand im Arbeitszimmer von Levi Salomon in der Jüdischen Gemeinde ist bedeckt mit Fotos von Veranstaltungen, die er in den vergangenen vier Jahren organisiert hat. Salomon ist der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Die Fotos zeigen ihn mit Bundesministern wie Kristina Schröder (CDU) und mit Berliner Landespolitikern fast aller Parteien. Sie zeigen, wie Salomon in der israelischen Knesset spricht und mit dem israelischen Ministerpräsidenten Schimon Peres. Salomon hat ein zivilgesellschaftliches Netzwerk gegen Antisemitismus geknüpft, das „Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus“, er arbeitet mit der Polizei, dem Verfassungsschutz zusammen und hat eine 24-stündige Hotline geschaltet, über die ihn Menschen aus ganz Deutschland anrufen und um Hilfe bitten, weil sie antisemitisch beleidigt oder angegriffen worden sind. Salomon arbeitet ehrenamtlich.

Vergangenen Freitag erklärte ihm Gideon Joffe, neuer Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, dass er eine Woche Zeit habe, um sein Büro zu räumen. In der Gemeinde gebe es keinen Platz mehr für ihn. Sein Zimmer werde für anderes gebraucht. Joffe hat auch die Sprecherin der Gemeinde und die Vorstandssekretärin entlassen, die die Internetseite betreut hat. Andere, langjährige Mitarbeiter trauen sich nicht mehr, über die Gemeindetelefone mit Journalisten zu sprechen und rufen vom privaten Handy an. Angst geht um in der Jüdischen Gemeinde, seitdem Joffe vor einer guten Woche auf einer turbulenten Sitzung des Gemeindeparlaments gewählt wurde.

Am Donnerstag luden Levi Salomon und Joffes Vorgängerin Lala Süsskind zu einer Pressekonferenz ein – in ein Café direkt neben der Synagoge und dem Gemeindezentrum in der Oranienburger Straße. „Wir können einiges, das gerade in der Gemeinde passiert, nicht gutheißen“, sagte Süsskind. Sie könne ja noch nachvollziehen, dass Joffe Sprecher und Sekretärin austausche, aber dass er den Antisemitismusbeauftragten entlasse, das könne man nicht hinnehmen. Salomon habe über die Gemeinde, über Berlin hinaus in die Gesellschaft hineingewirkt. „Es wäre doch unsinnig, all das Gewachsene kaputt zu machen. Der Antisemitismus ist ja nicht zurückgegangen.“ Salomon wurde deutlicher: „Die Demokratie in der Gemeinde ist gefährdet, es herrscht jetzt Autokratie, das dürfen wir nicht hinnehmen“.

„Nicht zu fassen“, kommentierte Julius Schoeps, der Leiter des Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrums, der als Zuhörer zur Pressekonferenz gekommen war. „Empörend“ findet auch Erziehungswissenschaftler und Publizist Micha Brumlik die Vorgänge. „Joffe und seine Clique haben die Gemeinde als Beute genommen“. „Wir geben Levi Salomon Asyl“, sagte Stephan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland. „Wir wollen keinen Keil in die Gemeinde treiben, aber wir wollen sicherstellen, dass die Arbeit fortgeführt wird.“ Man wolle auch auf Joffe einwirken, damit er seine Politik überdenke, so Kramer. Joffe vertritt die Berliner Gemeinde im Zentralrat.

Leider kann man ihn nicht selbst fragen, warum er Salomon rauswirft. Auf wiederholte Anfragen des Tagesspiegels und anderer Journalisten antwortet er nicht. Persönliches Anklopfen an seiner Tür in der Oranienburger Straße – er hat sein Büro direkt neben Salomon – ist sinnlos. „Er habe keine Zeit“, ließ er die Sekretärin am Donnerstag ausrichten. Claudia Keller

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