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Berlin: Die Angst vor dem da draußen

In Frauenhäusern finden sie Ruhe und Hilfe. Doch auf der Straße können die geprügelten Frauen ihren Männern oft nicht ausweichen

Von Sabine Beikler

1300 Frauen suchen in Berlin pro Jahr Zuflucht vor brutaler häuslicher Gewalt in Frauenhäusern. Die Auslastung aller sechs Häuser beträgt fast 95 Prozent. Der Senat finanziert die 326 Plätze in den Häusern mit 2,84 Millionen Euro pro Jahr. Die 40 Zufluchtswohnungen mit 266 Plätzen werden mit 960 000 Euro jährlich bezuschusst. Ursprünglich wollte der Senat den Etat für Schutzplätze um mehrere hunderttausend Euro kürzen. Nach heftigen Protesten von SPD-, PDS- und Oppositionspolitikern einigte man sich auf eine Kürzung von 70 000 Euro. In den nächsten zwei Jahren wird der Etat nicht weiter gekürzt. „Bis Ende 2008 ist die Finanzierung der Häuser gesichert“, sagte die zuständige Staatssekretärin Susanne Ahlers dem Tagesspiegel. „Der Bestand der Frauenhäuser ist sehr notwendig, um Frauen vor häuslicher Gewalt zu schützen.“

In diesem Jahr feiern die autonomen Frauenhäuser bundesweit ihr 30-jähriges Jubiläum. Das 1979 gegründete Zweite Autonome Frauenhaus ist inzwischen das älteste in Berlin. In den vergangenen Jahren erlebten die Mitarbeiterinnen dort Fälle von Frauen, die trotz Zuflucht ermordet wurden. „Die Frauen haben draußen auf der Straße keinen hundertprozentigen Schutz. Sie werden bedroht, haben aber keinen Personenschutz“, sagt Afsaneh Bokharai vom Frauenhaus.

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August 1999. Es geht um ihr Leben. Polizei und Frauenhaus-Mitarbeiterinnen schätzen die Lage von Sylvia Z. so ernst ein, dass sie so schnell wie möglich in ein Frauenhaus in Westdeutschland gebracht werden soll. Tage zuvor hatte sich die 37-Jährige von ihrem Freund getrennt. Der Freund ist auch ihr Zuhälter. Hartmut N. droht sie umzubringen. Sylvia ist mit den Nerven am Ende und in ärztlicher Behandlung. Vor ihrer Abreise hat sie sich noch einen letzten Termin in einer Nervenarztpraxis in Prenzlauer Berg geben lassen. Am 26. August verabschiedet sie sich um 12 Uhr von den Frauenhaus-Mitarbeiterinnen. Sie will keine Begleitung. Sie fühlt sich sicher. Doch Hartmut N. wartet bereits in der Praxis auf sie. Er will reden. Sie weigert sich, wieder mit ihm zusammenzukommen. Dann schießt er auf sie. Die 48-jährige Arzthelferin Margit G. will ihr helfen. Auch sie wird von einer Kugel getroffen. Beide Frauen sind sofort tot. Hartmut N. wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Was Sylvia Z. nicht wissen konnte: Ihr Mörder hatte in der Praxis angerufen, sich als ihr Lebensgefährte ausgegeben und um eine Terminbestätigung gebeten. Es war der Arzttermin um 16.30 Uhr.

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Er sticht auf sie ein, wieder und wieder. Im Nebenraum hören die Kinder die Schreie ihrer Mutter. Minutenlang. Dann ist es still. Nur eine Tür trennt die Kinder vom Vater. Im Nebenzimmer hat sich Marjahnes Freundin mit den eigenen drei und Marjahnes vier Kindern verbarrikadiert. Sieben Kinder, die Ohrenzeugen des grausamen Mordes werden. Geistesgegenwärtig ruft die Freundin über Handy die Polizei. Als die Beamten klingeln, öffnet ihnen Miroslav D. Alles sei in Ordnung, erzählt er. Die Polizisten verschaffen sich Zugang zur Wohnung am Blasewitzer Ring in Spandau. Dort finden sie Marjahne. Sie liegt auf dem Boden, in einer riesigen Blutlache. Tot. Ermordet am 7. Juli 2000 von ihrem Ehemann.

Marjahne ist Bürgerkriegsflüchtling aus dem ehemaligen Jugoslawien und kommt in den achtziger Jahren mit ihrem zweiten Mann Miroslav nach Deutschland. Sie hat eine 13-jährige, geistig behinderte Tochter aus erster Ehe. Die gemeinsamen Kinder werden 1988, 1991, 1993 und 1995 in Berlin geboren. Irgendwann beginnt Miroslav D. Marjahne und die Kinder zu schlagen. Irgendwann fängt er auch an, die geistig behinderte Tochter sexuell zu missbrauchen. Wie lange Marjahne und die Kinder Gewalt erlitten haben, bevor sie im November 1999 Zuflucht im Frauenhaus suchen, hat sie nie erzählt. Kein Einzelfall: Viele Frauen schämen sich und versuchen die Gewalt aus ihren Erinnerungen zu löschen, indem sie nicht darüber sprechen.

Ihren letzten Geburtstag feiert Marjahne am 24. März im Frauenhaus. Sie ist 38 Jahre alt und hat das Sorgerecht für die Kinder. Das Frauenhaus hilft ihr bei der Wohnungssuche. „Marjahne hat wieder Kraft gesammelt. Sie begann sich neu zu orientieren und an die Selbstständigkeit zu gewöhnen“, sagt Afsaneh Bokharai. Wie ihr Mann wieder Kontakt mit ihr aufnehmen konnte, ist nicht bekannt. Vielleicht will sie ihm den Umgang mit den Kindern nicht verwehren, als er an der Tür klingelt. Das Messer in seinem Einkaufsbeutel hat sie nicht gesehen.

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Michelle war strohblond und sehr ruhig. Viele erinnern sich an das Mädchen. So jung stirbt selten ein Mensch. Die Zweijährige wird am 3. Juli 2005 von ihrem Vater erschossen. Danach tötet sich Hans Z. mit Kopfschüssen im Berliner Hotel „Sylter Hof“.

Wenige Wochen zuvor flüchtet Tatjana Z. mit ihrer Tochter ins Frauenhaus. Sie hat Angst vor den Schlägen ihres Mannes. Als sie ihn ein paar Jahre zuvor kennen lernt, gibt er sich als gut situierter Unternehmensberater aus. Die beiden heiraten, sie zieht zu ihm nach Mecklenburg-Vorpommern. Dann beginnt er sie zu schlagen und zwingt sie, als Edel-Prostituierte zu arbeiten. Tatjana Z. will sich von ihm trennen, schafft es aber nicht. „Er will mich oder das Kind umbringen“, erzählt sie. Erst im Frauenhaus bekommt sie neuen Mut, ein eigenes Leben anzufangen. Trotz der Bedrohung spricht das Familiengericht in Hagenow dem Mann ein Umgangsrecht für Michelle zu. Jeden Sonntag darf er sie für drei Stunden sehen. Auch an dem Sonntag im Juli. Am Treffpunkt Bahnhof Zoo sieht Tatjana ihr Kind das letzte Mal lebend. Es war Michelles zweiter Geburtstag.

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Vesna A. ist in Panik. „Er hat Krebs und nichts mehr zu verlieren. Bevor irgend jemand anderes mich bekommt, bringt er mich um. Das hat er mir gesagt“, erzählt sie noch vor gut sechs Wochen im Frauenhaus. Vesna ist 36, lebt seit zehn Jahren in Berlin und arbeitet als Reinigungskraft. Sie hat drei Kinder, zwei davon mit Jovan P. Der Lebensgefährte ist äußerst gewalttätig. Anfang Juni flüchtet sie ins Frauenhaus und will sich endgültig von ihm trennen. Jovan P. passt sie am Montagabend, dem 19. Juni, an ihrer Arbeitsstelle ab. Vor einer Mariendorfer Gartenkolonie kommt es zum Streit. Jovan P. zückt ein Messer und sticht mehrfach auf sie ein. Vesna bricht schwer verletzt zusammen und stirbt noch am Tatort. Ihre Kinder leben seitdem bei Verwandten. Jovan P. wartet auf seinen Prozess.

Täglich von 9 bis 24 Uhr berät die BIG-Hotline bei häuslicher Gewalt telefonisch unter 611 03 00. Auch Polizeidienststellen vermitteln Opfer an Frauenhäuser.

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