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Berlin: Die Bestatter tragen Trauer

Die Branche klagt weiter über Verluste. Denn für die Beerdigung haben die Menschen immer weniger Geld

Von Viola Volland

Rot leuchten die Grablichter auf Berlins Friedhöfen. Angehörige suchen die Gräber ihrer Verstorbenen auf, legen Kränze nieder, trauern um ihre Toten. Zum Trauern ist in diesem Jahr auch vielen Unternehmern im Bestattungsgewerbe zumute. Bestatter, Friedhofsgärtner, Steinmetze, Sarghersteller. Rückläufige Sterbezahlen und die Zunahme anonymer Bestattungen haben der Branche zugesetzt. Ab 2003 sieht es für die Unternehmen noch düsterer aus: Zum 1. Januar wird das Sterbegeld der gesetzlichen Krankenkassen von derzeit 1050 Euro halbiert. Dadurch sollen die Kassen 260 Millionen sparen. Erstmals reicht das Sterbegeld dann nicht mehr für die Minimalkosten einer Bestattung. Allein die Gebühren betragen in Berlin mindestens 600 Euro für eine Urnen- und 750 Euro für eine Sargbestattung. Eine Urnenbeisetzung kostet in Berlin zwischen 1500 und 2500 Euro, für eine Erdbestattung muss mit mindestens 3500 Euro gerechnet werden.

Einen „wirtschaftlichen Einbruch für die Branche“, sieht Axel Kluth, Obermeister der Bestatter-Innung von Berlin und Brandenburg, als direkte Folge der Sterbegeldkürzungen. Immer wieder würden Bestatter bei ihm anrufen, die um ihre wirtschaftliche Existenz bangen. Kluth befürchtet einen radikalen Anstieg der Sozialbestattungen. Wenn Angehörige die Bestattung finanziell nicht selbst tragen können, übernimmt das Sozialamt die Kosten – und zwar zu festgelegten Preisen. „Diese Preise sind zu niedrig, um die Betriebe alleine am Leben zu halten“, erklärt der Obermeister. Den Berliner Bestattern gehe es schon jetzt schlecht genug. Im Jahr 2000 haben sie nach Angaben des Statistischen Landesamts rund 45,53 Millionen Euro Umsatz gemacht. 1998 waren es dagegen rund 69,5 Millionen Euro. Hauptgrund für die Einbußen: Die Lebenserwartung ist erheblich gestiegen. 2001 wurden in Berlin fast 5400 Tote weniger bestattet als 1996. Dieser Rückgang trifft nicht nur Kluth und Kollegen, sondern auch die übrigen Unternehmen der Branche. Denn wo weniger Tote sind, werden auch weniger Särge, Grabdenkmäler und Grabpflegen geordert.

Die Floristen und Steinmetze haben jedoch noch eine größere Sorge als die niedrige Sterberate: Immer mehr Berliner lassen sich anonym bestatten – im Massenreihengrab. Und da fallen Grabstein und -pflege ganz weg. Nach Angaben des Statistischen Landesamts waren 2001 fast 39 Prozent aller Beisetzungen anonym, ein überdurchschnittlich hoher Wert. Zum Vergleich: In Bremen und Hamburg lag dieser Anteil bei 26 Prozent. „Die Stadt generell ist anonym, und das spiegelt sich auch auf dem Friedhof wider", klagt Karl-Heinz Schafhausen, Obermeister der Steinmetz- und Bildhauer-Innung. „Jeder einzelne Friedhofsgärtner spürt das“, sagt Katja Beutel von der Fachgruppe Friedhofsgärtner des Landesverbands Gartenbau und Landwirtschaft. Beutel befürchtet eine weitere Zunahme anonymer Beisetzungen infolge der Sterbegeldkürzung. Doch der Verband will gegensteuern: Als Alternative zur anonymen Bestattung wollen die 80 Friedhofsgärtner der Friedhofstreuhand in Zukunft Standard-Grabpflegen ins Angebot aufnehmen. Die sind besonders preiswert und sollen die Kunden locken, die knapp bei Kasse sind. 2500 Euro kostet solch ein Dauergrabpflegevertrag für 20 Jahre, das sind rund 125 Euro im Jahr. Derzeit zahlen Angehörige allein fürs Pflegen und Gießen einer Urnengrabstelle rund 100 Euro im Jahr – die Bepflanzung kostet extra.

„Mich nervt total, dauernd über Geld zu reden. Es geht hier um Menschen.“ Für die Bestatterin Claudia Marschner ist die Sterbegeldsenkung „kein Thema, das mich tangiert.“ Allerdings zählen ihre Kunden auch nicht zu denen, die auf Billigbestattungen aus sind. Der individuelle Abschied steht im Vordergrund – und der ist bei M+K Bestattungen meist bunt. In Marschners Atelier bemalen die Angehörigen die Särge oder Urnen der Verstorbenen selbst. Marschners Erfolg ist Ausdruck des Wandels der Bestattungskultur, nicht nur in Berlin. „Die Individualität der Menschen nimmt zu, auch im Tod“, beobachtet beispielsweise Rolf-Peter Lange, der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Bestattungsunternehmen. „Die konservativen Einstellungen zum Tod ändern sich.“ Die Zahl der Trauerfeiern gehe zurück, die Akzeptanz kirchlicher Bestattungen nehme ab. Belief sich der Anteil der Begräbnisse mit theologischem Beistand 1990 noch auf über zwei Drittel, so lag der Wert 1992 nur noch bei knapp 40 Prozent. Dabei ist es geblieben.

Die Bestatter haben ihre Konsequenzen gezogen: Sie bieten ihren Kunden eigene Trauerhäuser für die Feierlichkeiten an. Laienprediger halten hier die Reden – oder die Angehörigen selbst. Rock- oder Technomusik auf Trauerfeiern, bunt gestaltete Trauerräume – das alles ist im Kommen. Dieser Trend wird allerdings nicht von jedermann begrüßt: „Wir bemühen uns um die traditionelle Bestattungskultur“, betont beispielsweise Innungs-Sprecher Kluth. Besorgt blickt der Bestatter dieser Tage in Richtung Nordrhein-Westfalen (NRW). Dort debattiert der Landtag heiß über die Aufhebung des Friedhofszwangs. Die Angehörigen könnten dann die Urne ihres Verstorbenen mit nach Hause nehmen. „Was passiert, wenn derjenige, der die Urne ausgehändigt bekommt, stirbt?“, fragt Kluth. Rolf-Peter Lange, der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Bestattungsunternehmen, teilt die Bedenken nicht: „Die Aufhebung des Friedhofszwangs entspricht den Wünschen der Kunden.“

„Urnen und Stille“ heißt eine Ausstellung, die noch bis zum 29. November in der Stadtbibliothek Spandau, Carl-Schurz-Straße 13, zu sehen ist – mit Keramik-Urnen von Barbara Nowy und Fotos von Claudia Schwaier. Öffnungszeiten: werktags von 11 bis 20 Uhr, samstags von 10 bis 14 Uhr.

Viola Volland

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