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Berlin: Die Brückenbauer

Seit 70 Jahren in Israel, aber ihnen entgeht nichts: Exil-Berliner

Von Fatina Keilani,

Tel Aviv

Freitagmittag, an der Türe von Martin und Helene Graf klingelt es. Es sind Freunde, David und Rosi Czapnik. Martin Graf, ein stattlicher Herr von 84 Jahren, ist Friedrichshainer, David Czapnik, ebenfalls 84, wuchs in der Invalidenstraße auf. Beide flohen 1933 vor den Nazis nach Israel. Doch Berliner sind sie bis heute geblieben, und ihre Frauen, die aus Brünn und Wien stammen, sind es fast geworden.

Kurzer Dialog bei Kaffee und Kuchen: „Der Joschka Fischer ist gut für uns, und ob der Schröder sich die Haare färbt, ist mir egal!“ – „Der hat ja eine ganz junge Frau!“ – „Die Vierte!“ – „Fischer hat schon die Fünfte“ – „Das ist kein Wunder, der ist ja nie da.“ – „Aber der Wowereit hat immer noch denselben Freund.“ Gelächter. „Sie sehen, wir wissen Bescheid.“

„Wir Berliner sind besonders verbunden mit Berlin“, sagt Martin Graf. „Wir leben dort noch in Gedanken. Dabei bin ich schon fast 70 Jahre hier.“ Jetzt wohnen sie in Tel Aviv, aber von dem, was sich in Berlin abspielt, entgeht ihnen nichts. Außerdem liest Helene jede Woche die Bunte, auch wenn ihr das ein kleines bisschen peinlich ist.

Die Deutsch-Juden in Israel, Jeckes genannt, haben eine Vereinigung für jede Heimatstadt. Die Frankfurter haben sich zusammengeschlossen, die Leipziger, die Hannoveraner und so weiter. Die meisten bekommen Geld aus Deutschland, Frankfurt a.M. zahlt jährlich 5000 Euro als Zuschuss. Die Berliner bekommen statt Geld gute Worte – in Magazinform, redigiert von Senatssprecher Michael Donnermeyer. „Aktuell“ heißt die viermal jährlich erscheinende Zeitschrift für „Berliner, die während des Nationalsozialismus Berlin verlassen mussten“.

Aber die Zielgruppe stirbt langsam aus. „Auf dem Friedhof kennen wir mehr Leute als in der Stadt“, sagt Helene Graf. Ihr Mann Martin leitet den Verein ehemaliger Berliner in Israel, weil dessen eigentlicher Vorsitzender Sigi Gross weit über 90 ist. Gross hatte 1994 eine Anzeige geschaltet. Er suchte ehemalige Berliner, und die Leute kamen und standen bis auf die Straße.

Im Sommer waren Martin und Helene wieder in Berlin, zum ersten Mal seit neun Jahren. Martin Graf kam 1933 schon nach Palästina, er verlor keinen einzigen Verwandten. David Czapnik hatte es schlechter. 80 Prozent seiner Familie wurden von den Nazis umgebracht. In Tel Aviv brachte er es zu einer eigenen Firma mit 100 Angestellten.

Nach dem Krieg gehörten die Jeckes zu den ersten, die wieder Brücken nach Deutschland bauten. Wie das alles mit Hitler passieren konnte, versteht bis heute keiner. „Wenn ich nach Deutschland komme und sehe dort die Bürger, so kultiviert – ja, das begreift man nicht,“ sagt Martin Graf.

Fatina Keilani[Tel Aviv]

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