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Berlin: Die Diebe hatten Kunstverstand - oder einfach nur Glück

Beute im Wert von einer Million Mark - Lastwagen mit Bildern von Miro, Heckel, Kollwitz und Trökes am Straßenrand in Charlottenburg gestohlenH. Stark und H.

Beute im Wert von einer Million Mark - Lastwagen mit Bildern von Miro, Heckel, Kollwitz und Trökes am Straßenrand in Charlottenburg gestohlenH. Stark und H. Toeppen

Entweder waren die Täter raffiniert und gut informiert - oder sie hatten nur ungeahntes kriminelles Glück: Kunstwerke im Wert von rund einer Million Mark fielen am Montagabend Dieben in die Hände. Sie hatten einen Kastenwagen der Spedition Tandem aus dem nordrhein-westfälischen Frechen an der Knesebeckstraße in Charlottenburg gestohlen. An Bord: Werke zum Beispiel von Erich Heckel, Käthe Kollwitz, Miro und eine Werkübersicht des 1997 gestorbenen Berliner Malers Heinz Trökes. Allein zwölf Trökes-Arbeiten sind mit dem Auto verschwunden. Dem Speditions-Fahrer blieb nur Verblüffung. Er sah gerade noch die Rücklichter seines Transporters in der Ferne kleiner werden.

Seit zwei Tagen sucht die Polizei nun den weinroten Peugeot Boxter, baugleich zum Fiat Dukato, mit dem Kennzeichen BM-ED 572. Die Spedition hatte mehr als 25 Kunstwerke aus ganz Deutschland geladen. Galerien und Händler etwa aus Düsseldorf, Hamburg oder München hatten der Firma so genanntes Ausstellungsgut hauptsächlich von deutschen Künstlern der Jahre 1900 bis 1930 anvertraut. Bestimmungsort: Galerien, Sammler und Auktionshäuser in Berlin.

Nun rätseln Kunstexperten und Polizei: Haben der Dieb oder die Diebe von der wertvollen Ladung gewusst und das Auto beschattet und gezielt bestohlen? Oder hat sich nur ein 08/15-Dieb den Kastenwagen gegriffen und staunt jetzt über seine Beute? Der Fall gilt als der größte "Lade-Diebstahl" der deutschen Kunstgeschichte. Zwar sind schon erheblich wertvollere Gemälde aus Museen und Galerien gestohlen worden - wie etwa Spitzwegs "Armer Poet" 1989 aus dem Schloss Charlottenburg, Wert 1,8 Millionen -, aber nie ist ein ganzer Transporter mit einer solchen Sammlung verschwunden. Eine Aufstellung gibt es noch nicht. Die Polizei versucht erst, sich ein präzises Bild von der Ladung und ihrem Wert zu verschaffen. Zum Teil ist sie auch diskret: Manche Besitzer der Kunstwerke wünschen nicht, dass öffentlich nach den Werken gefahndet wird.

Dass die Tat überhaupt möglich war, liegt offenbar an der Art des Transports. "Nicht professionell" nannte sie gestern auf den ersten Blick der zuständige Kommissariatsleiter Hans-Ulrich Tügend in Berlin. Der Fahrer hatte den Transporter nach Polizeiangaben gegen 20 Uhr auf der Knesebeckstraße geparkt, hatte seine persönlichen Sachen aus dem Fahrzeug genommen und war zum Einchecken in ein Hotel gegangen. Nachdem er sich kurz frisch gemacht hatte, ging er zu Fuß zu einem nahe gelegenen Parkplatz, um zu schauen, ob dort noch Platz war. Als er gegen 21.40 Uhr zum Hotel zurückkam und den Wagen auf den Parkplatz fahren wollte, sah er sein Auto davonfahren. Der Fahrer habe sich zuerst gewundert, warum noch ein zweiter Wagen der Firma in der Straße sei, berichtete Klaus Hillmann, Geschäftsführer der Tandem-Spedition - bis er realisierte, dass es sein eigener Lieferwagen war. Nach Angaben von Hillmann sei das Vorgehen des Fahrers das übliche Prozedere. "Der Wagen ist ja nicht auf seinem Nachtparkplatz gestohlen worden, sondern praktisch beim Einchecken." Auf dem Wagen habe auch nichts gestanden, was auf einen Kunsttransport hin gedeutet habe.

Das Verfahren löste bei anderen Speditionen gestern Verwunderung aus. "Wir lassen nie etwas draußen stehen", sagte ein Fachmann. "Niemals steht ein Fahrzeug ohne Bewachung draußen auf der Straße". Immer seien zwei Mann bei einem Transport dabei. Muss das Auto allein bleiben, werde es in eine Halle gebracht. Notfalls schliefen die Fahrer im Auto. Dass der Wagen in diesem Fall einfach auf der Straße stand, "trifft bei der Polizei nicht auf Verständnis", sagte ein Beamter gestern Nachmittag.

Die Spedition Tandem gilt allerdings in Fachkreisen als eines von vier renommierten, auf Kunstgegenstände spezialisierten Transportunternehmen, das seit vielen Jahren im Geschäft ist. Auch eine der betroffenen Galerien, die "Villa Grisebach", verteidigte gestern ihren Lieferanten. "Das sind richtige Profis, mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten", sagte der Geschäftsführer der Villa, Bernd Schultz. Schultz glaubt, dass die Diebe den Wagen stehlen wollten und von der Ladung nichts wussten.

Die "Villa Grisebach" erwartete in dem Transport etwa eine kleine Grafik von Joan Miro im Wert von 3000 bis 4000 Mark sowie Werke von Gabriele Münter und Käthe Kollwitz. "Pro Woche gehen bei uns zehn Transporte durch ganz Deutschland", sagte Schultz. Die erwarteten Bilder seien zum Verkauf bestimmt gewesen.

Ausfallen muss durch den dreisten Diebstahl vermutlich eine ganze Ausstellung. In dem Wagen befanden sich die kompletten Werke für eine Ausstellung der Kölner Künstlerin Friederike van Duiven, die am kommenden Freitag in der Galerie Marianne Grob in Mitte eröffnet werden sollte. Klaus Hillmann hofft, dass die Werke wieder auftauchen. Die Bilder seien bereits im "Art Loss Register" eingetragen, in dem gestohlene Kunst aufgelistet wird. Damit seien sie praktisch unverkäuflich. Auch die Polizei hofft auf Hinweise, Tel. 69938534. Eine Versicherung hat eine Belohnung von "bis zu 10 000 DM" ausgesetzt.

H. Stark, H. Toeppen

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