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Berlin: Die Domäne Dahlem zeigt Sattelschweine und Traktoren, wo andere gerne Stadtvillen hingebaut hätten

Jedes Kind weiß, dass ein texanischer Farmer ungefähr eine Woche braucht, um seinen Besitz vom Pferderücken herab zu inspizieren. Jacqueline Jancke von der Domäne Dahlem ist da weitaus besser dran.

Jedes Kind weiß, dass ein texanischer Farmer ungefähr eine Woche braucht, um seinen Besitz vom Pferderücken herab zu inspizieren. Jacqueline Jancke von der Domäne Dahlem ist da weitaus besser dran. Eine Rundtour über die Äcker und Weiden zwischen U-Bahnlinie 1 und Pacelliallee kostet sie etwa eine Viertelstunde - zu Fuß. Dennoch kommt im nachmittäglichen Winterdunst ländliche Stimmung auf. Von Ferne grölen die mitteldeutschen Rotviech-Zwillingsschwestern Erle und Espe nach Futter. Die Flex des Schmieds zerfetzt das dumpfe Großstadtrauschen. Und die zuchttauglichen Sattelsauen Wanda und Paula verwandeln den schwarzen Boden in eine außerirdische Kraterlandschaft.

Berlins einziger Bauernhof mit U-Bahn-Anschluss "ist gerettet. Danke". So verkündet es ein Plakat an der Straßenfront des historischen Gutsgebäudes. Gerettet vor der Bebauung mit Stadtvillen, die rund 90 Millionen Mark in die Berliner Haushaltskasse spülen sollte, der Domäne aber den Lebensnerv durchtrennt hätte. Stadtentwicklungssenator Peter Strieder hatte das sensible Thema unterschätzt. An der Abwehrfront von Politikern aus allen Parteien und 65 000 per Unterschrift beglaubigten Sympathisanten biss er sich die Zähne aus.

Im Verteidigen ihrer Existenz haben die Domäne-Leute langjährige Erfahrung. 1976 und 1989 sollte auf einem Teilgelände das neue Sportzentrum der FU entstehen. Doch den spärlichen Rest von zehn Hektar der einst 450 Hektar großen Gutsfläche verteidigten die Domänenfreunde mit Zähnen und Klauen. "Wir sind unbequem", sagt Frau Jancke, und man glaubt es ihr aufs Wort.

Anliegen des agrarhistorischen Freilichtmuseums ist es, dem zellofanverblendeten Städter die Urformen seiner Nahrungsmittel vor Augen zu halten und - wenn nötig - unter die Nase zu reiben. Dafür werden "kontaktrobuste" Sattelschweine, Pommersche Landschafe, Hühner, Rinder und zwei Ackergäule gehalten, die gelegentlich die Egge über das Feld ziehen, weil das den Boden schont und einem ökologisch arbeitenden Betrieb gut zu Gesicht steht. Mit bäuerlicher Neoromantik soll das aber nichts zu tun haben, schon gar nicht mit einem Streichelzoo (auch wenn viele Besucher nur deswegen kommen), sondern eher mit einem Potpourri landwirtschaftlicher Arbeitstechniken von früher und heute. Jancke spricht von einer "exemplarischen Präsentation des landwirtschaftlichen Alltags im zeitlichen Kontinuum". Solche museumspädagogischen Vokabeln gehen ihr leicht über die Lippen. Wichtig ist ihr auch die "Haptik" - deshalb dürfen Besucher an Gummizitzen das Melken eigenhändig üben, nach genauer Anweisung: Nicht ziehen, sondern "im Wechseltakt" ausdrücken. Warum der Melker immer rechts von der Kuh sitzen muss, weiß Frau Jancke auch nicht.

Die ständige Ausstellung zur 700-jährigen Geschichte des Landgutes, das 1976 zum Museum umgewidmet wurde, enthält seit einigen Monaten auch einen historischen Kolonialwarenladen. Dort ist Haptik allerdings verboten, weil die alten Werbeschilder von Persil und Erdal Rex einen erklecklichen Sammlerwert repräsentieren. Jedes Einzelteil ist mit der Alarmanlage verdrahtet. Die Kuratoren Egbert Schimmerrohn und Beate Ollesch sind trotzdem stolz, originales Mobiliar aus einem Laden in Kremmen aufgestöbert und mit einschlägiger Markenware aus den 20-er Jahren bestückt zu haben. Die Reichelt AG hat den Ankauf finanziert und eigenes Fotomaterial zur Verfügung gestellt. In der Vitrine liegt das Zeugnis eines Reichelt-"Lehrfräuleins" aus dieser Zeit. Das Mädchen hatte ihre Ausbildung vorzeitig gekündigt. Da erschien es ratsam, voreiligen Schlüssen entgegenzutreten: "Nachteiliges über Ihre Ehrlichkeit ist uns nicht bekannt." Der Kaufmannsladen soll die Kette von der Erzeugung bis zur Vermarktung von Nahrungsmitteln schließen.

Ein Stück weiter im "zeitlichen Kontinuum" ist der Hofladen angesiedelt, in dem die Produkte aus eigenem Anbau sowie von brandenburgischen Öko-Höfen angeboten werden. Hier findet sich zum Beispiel Burger-Knäcke wieder, das auch im historischen Laden zum Sortiment gehört. Trotz des bunten Lebens draußen und drinnen, trotz der Markttage und Hoffeste steckt die Domäne Dahlem eigentlich noch in der Frühphase ihrer Entwicklung. "Wir wachsen langsam in unser Konzept hinein", sagt Jancke. Zu den angrenzenden Siedlungen hin wird "Biostacheldraht" gepflanzt, dornenreiche Sträucher zum Schutz vor einfallenden Wildschweinen (und Besoffenen), ein Ökoteich befindet sich im Aufbau, und hinter dem Tennisplatz der FU wird eine Streuobstwiese angelegt. Irgendwann sollen die zwölf Hektar der Großstadt Berlin aussehen wie zwölf Hektar einer historischen Hofanlage im Fläming oder in der Prignitz. Für die Domänenfreunde ist der Acker eine heilige Krume, in die schon die Slawen ihre Hakenpflüge senkten. So was darf man einfach nicht mit Beton entweihen.

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