zum Hauptinhalt
Isoliert, aber nicht allein. AfD-Fraktionschef Georg Pazderski kann sich vorstellen, im Abgeordnetenhaus auch mal mit der Regierung zu stimmen.

© Michael Kappeler/dpa

Die ersten Tage in der realen Politik: Unwählbar bis unscheinbar: Die AfD auf Bewährung

14 Prozent der Berliner Wähler haben für die AfD gestimmt. Wie verträgt sich die neue Partei mit der etablierten Politik? Eine Analyse.

Am Sonntag vor neun Wochen trafen 230.331 Berliner eine Entscheidung: Sie wählten blau; zum ersten Mal. Das Ergebnis sind 24 AfD-Parlamentarier im Abgeordnetenhaus, zusätzlich eine Alternativfraktion in jedem Bezirk, in sieben davon mit dem Recht auf einen Posten im Bezirksamt. Seitdem ist Berlin gespalten – in jene, die mit der AfD schimpfen, und jene, die über sie schimpfen. Dass sie „eine demokratisch gewählte Partei ist“, betont die AfD gern. Doch wie verträgt sie sich bisher mit der Berliner Demokratie?

In Lichtenberg und Pankow fordert die AfD das Berliner Bezirksverwaltungsgesetz bereits heraus. In Lichtenberg sitzt ein Mann besonders nah am Volk: Wolfgang Hebold, der sich derzeit noch mit den Bürgern die Zuschauerplätze teilt. Er ist Stadtratskandidat der Lichtenberger Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), gehört ihr aber nicht an.

Deshalb ist dort auch kein Platz für ihn vorgesehen. Ob Hebold hier eine politische Zukunft hat, ist fraglich. Denn die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Dozenten wegen Verdachts auf Volksverhetzung. Außerdem steht er in der AfD rechts außen, auf seinem Blog pflegt er einen harten Ton gegenüber Migranten und Muslimen, nennt manche „Kopftuchmoslem“ und erklärt, das sei unverfängliches Vokabular.

In Lichtenberg gibt es ein Patt

Die anderen Parteien in Lichtenberg haben darauf nur eine Antwort: Hebold soll nicht gewählt werden. Er sei „unwählbar“, sagt die Linke, er sei „untauglich“, sagt die CDU, seine Wahl sei „chancenlos“, sagt der Bezirksverordnetenvorsteher. Doch die AfD sagt: Hebold bleibt unser Mann. Das bestätigte in der Vollversammlung am Donnerstag der AfD-Abgeordnete Karsten Woldeit, der ebenfalls in Lichtenberg angetreten war und in dem Bezirk die Fäden zusammenhält. Das Ergebnis ist eine Pattsituation: Die AfD hat das Nominierungsrecht, die BVV das Wahlrecht. Die Anzahl der Wahlgänge ist unbegrenzt. Das könnte zu einer absurden Situation führen: Die AfD stellt den Kandidaten immer wieder auf, die BVV lehnt ihn immer wieder ab, und der Posten im Bezirksamt bliebe in der Zwischenzeit unbesetzt. Am Ende müsste das Verwaltungsgericht entscheiden. Oder die Senatsinnenverwaltung.

So wie in Pankow. Hier ist das Debakel bereits eingetreten. Der Pankower AfD-Stadtratskandidat Nicolas Seifert fiel in der Bezirksverordnetenversammlung am Mittwoch fünfmal durch. Auch hier stellten die übrigen Fraktionen sich quer. Der Grund war unter anderem ein Video, auf dem Seifert dem ZDF-Moderator Ralf Kabelka die Perücke seiner Clownsverkleidung vom Kopf reißt. Er hatte sich von dem Satiriker provoziert gefühlt, sagte Seifert daraufhin. So wurde aus dem Kandidaten, gegen den bisher nichts sprach – er hat einen passablen Lebenslauf, ist Unternehmensberater –, ein Unwählbarer.

Die AfD reagiert trotzig

Die AfD reagiert trotzig: Nach dem vierten Wahlgang hob Fraktionsführer Stephan Wirtensohn einen Zettel in die Höhe, darauf beantragte er zehn weitere Wahlgänge. Dann wurde die Wahl vertagt, der Bezirksvorsteher Michael van der Meer sucht nun Hilfe bei der Senatsinnenverwaltung. Schadet die AfD sich mit diesem Verhalten selbst? Sie sieht es nicht so. „Wir machen uns lächerlich, wenn wir den Kandidaten zurückziehen“, sagt AfD-Sprecher Gläser.

AfD auch mal mit Rot-Rot-Grün? Denkbar

In den anderen Bezirken war der neue Umgang weniger kompliziert. In Reinickendorf, Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf hatte die AfD Kandidaten aufgestellt, die bei den anderen Fraktionen auf weniger Ablehnung gestoßen waren. Zwar musste die AfD auch hier kämpfen, in Treptow-Köpenick klappte die Wahl erst im dritten Wahlgang, aber die übrigen Fraktionen ließen Bernd Geschanowski dann doch durchkommen. Bisher verhält sich der gelernte Schiffsbauer eher unauffällig.

Allen Stadträten werden aber bisher nur kleine Ressorts überlassen. In Marzahn-Hellersdorf und Reinickendorf wird die AfD sich unter anderem um die Bürgerämter kümmern, in Pankow und Lichtenberg um Ordnungsangelegenheiten, in Treptow-Köpenick und Neukölln um die Umwelt. In Spandau ist die Ressortverteilung noch nicht endgültig.

AfD war auf die Wahl nicht vorbereitet

Ein Grund für das Chaos um die Stadträte ist, dass die AfD auf ihre Wahl schlecht vorbereitet war. In vielen Bezirken mussten erst Nachrücker gefunden werden, weil Kandidaten ins Abgeordnetenhaus gewählt worden waren. Stadtratskandidaten wurden lange gesucht, in Pankow fanden sogar Castings statt. Offenbar hatte die AfD mit einem so guten Ergebnis doch nicht gerechnet und die Postenfrage nicht frühzeitig besprochen.

Im neuen Abgeordnetenhaus beschäftigt sich die Politik vor allem mit der Frage: Wer stimmt mit der AfD?

Am Freitag kündigte der Fraktionsvorsitzende Georg Pazderski an, dass die AfD zukünftig Entscheidungen der Koalition mittragen will. „Es ist nicht alles schlecht“, kommentierte er den Koalitionsvertrag, „bei vernünftigen Vorschlägen werden wir uns nicht verschließen.“ Umgedreht schloss die CDU gemeinsame Abstimmungen mit der AfD nicht mehr aus. Sie wolle nicht auf Grundlage der Antragsteller, sondern der Inhalte entscheiden, sagte Fraktionschef Florian Graf: „Da gucken wir weder nach links noch nach rechts, ob uns jemand hinterherläuft oder begleitet.“

Bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments hatte sich die AfD noch selbst isoliert – und zwar schon bei der Abstimmung über die Geschäftsordnung. Sie wollte durchsetzen, dass eine Fraktion in Ausschüssen schon durch ihre eigene Kraft ein Thema auf die Tagesordnung setzen kann – und scheiterte. Üblicherweise wird die Geschäftsordnung von allen Parteien gemeinsam bestätigt. Sie ist kein Politikum, sondern eine Arbeitsgrundlage. Einer stimmte dann aber doch mit der AfD: Kay Nerstheimer. Der war wegen eines Skandals um seine rechtsradikale Vergangenheit aus der AfD-Fraktion ausgeschieden, hob aber mit ihr die Hand. AfD-Sprecher Ronald Gläser verteidigte die Nähe: Nerstheimer habe ja nicht die Pest.

AfD-Mann Andreas Wild beleidigt Angela Merkel auf Facebook

Am Sonntag fiel der Berliner AfD-Abgeordnete Andreas Wild erneut negativ auf, als er in einem Facebook-Post Angela Merkel beleidigte. Er hatte bereits im Wahlkampf gegen Flüchtlinge polemisiert. „Es geht Angela Merkel darum, Deutschland umzuvolken.“ Der stellvertretender Vorsitzender seiner Partei in Steglitz-Zehlendorf warf der Kanzlerin, die sich im Herbst erneut der Wiederwahl stellen will, Verrat am eigenen Volk vor.

Zudem beleidigte er sie auch persönlich: „Ich will mich nicht länger von verantwortungslosen Unfruchtbaren regieren lassen.“ Der Landesverband der AfD distanzierte sich auf Nachfrage des Tagesspiegels am Sonntag. Wild änderte seine Facebook-Post am Sonntagnachmittag und strich das Wort "unfruchtbar".

Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Lisa McMinn

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false