zum Hauptinhalt
Bohème Sauvage ist das Thema von Anna C. Menzel, Modistenmeisterin, die gerne für Partys im Stil der Zwanziger Jahre einen verrucht-mondänen Kopfputz entwirft.

© Elke Sarkandy

Die Europäischen Tage des Kunsthandwerks: Kunsthandwerkern über die Schulter geschaut

Ein Streifzug durch die Ateliers und Werkstätten in der Lychener Straße aus Anlass der Europäischen Tage des Kunsthandwerks, die vom 27. bis 29. März in Berlin stattfinden

Der Beruf ist eigentlich über Umwege zu ihr gekommen. Hutmacherin Anna Carolin Menzel arbeitete damals noch in der Werbung, aber nicht länger zu ihrer Zufriedenheit. Also machte sie sich auf die Suche nach einem neuen Weg. Einem Weg, der sie eines Tages nach Berlin-Brandenburg führte. „Da bin ich ganz zufällig auf eine Hutmacherin gestoßen“, sagt Menzel. Noch am gleichen Mittag hat sie sich das Geschäft mit Werkstatt angesehen, und sie war sofort Feuer und Flamme. Einige Tage später fing die angehende Hutmacherin schon ein Praktikum an. „Es hat mich nicht mehr losgelassen. Ich hatte mich in den Beruf verliebt.“

Heute ist die Lychener Straße in Prenzlauer Berg, direkt vor ihrem Laden, mit rosa Wimpeln für die Europäischen Tage des Kunsthandwerks geschmückt. Liebhaber sind dieses Wochenende willkommen in dem charmanten kleinen Atelier, wo auf den Regalen Hüte und Kappen für Damen und Herren in allerlei Farben prangen, inspiriert durch den klassischen Stil der zwanziger Jahre. „Bohème Sauvage“ oder: verrucht-mondäner Kopfputz, paillettenbehaftet und nach Wunsch mit Federn und Tüll ausstaffiert.

Zum Anbeißen? Was auf den ersten Blick wie eine verpackte Praline aussieht, entpuppt sich auf den zweiten Blick als Froschvase aus Porzellan von Adam Ziege.
Zum Anbeißen? Was auf den ersten Blick wie eine verpackte Praline aussieht, entpuppt sich auf den zweiten Blick als Froschvase aus Porzellan von Adam Ziege.

© Adam Ziege

„Ich find’ die Formen total schön“, erklärt Menzel. „Das Schlanke, das mag ich, und auch die typische Glockenform.“ Fast alle ihre Hüte sind aus Kaninchenhaar fabriziert, weil Menzel versucht, immer mit Naturmaterialien zu arbeiten und Kunststoffe wie Polyester nach Möglichkeit zu vermeiden sucht.

Menzel ist eine der 125 Kunsthandwerker und -handwerkerinnen, die an den Europäischen Tagen des Kunsthandwerks teilnehmen. Ziel sei es, das Image des Handwerksberufs zu verbessern, sagt Elke Sarkandy, Chefredakteurin des Magazins „Berlin-Brandenburgisches Handwerk“. „Beim Handwerk denkt man oft an Straßenbauer oder Maler. Manch einer vergisst allerdings, dass Kunsthandwerker auch Handwerker sind.“

Am Anfang der Lychener Straße liegt das Atelier der Gold- und Silberschmiede Marion Heilig, Joachim Dombrowski und Friederike Maltz. Die drei entwerfen handgemachten und innovativen Schmuck sowie Ketten, Armbänder und Ohrringe, die im Atelier hergestellt und ausgestellt sind.

Vergoldemeisterin Anja Isensee vergoldet neben Rahmen und Skulpturen passend zur Saison auch Ostereier.
Vergoldemeisterin Anja Isensee vergoldet neben Rahmen und Skulpturen passend zur Saison auch Ostereier.

© Elke Srakandy

Friederike Maltz, geboren in Selb und ausgebildet an der Staatlichen Zeichenakademie Hanau, zeigt eine der beweglichen Halsketten aus eloxiertem Aluminium und Federstahl, die durch Veränderung des Blickwinkels immer wieder neue geometrische Formen annehmen.

Maltz liebt ihr Material, den Edelstahl. Er ist leicht und trotzdem stabil. „Faszinierend“, findet Maltz. „Der Edelstahl kommt meiner Arbeitsweise entgegen. Er bietet den Widerstand, den ich benötige. Er reagiert noch exakter als Silber auf den Hammerschlag, hält dauerhaft Kanten und Flächen, mattierte Flächen bleiben matt.“ Es kommt immer darauf an, ganz exakt zu arbeiten, ihn sehr genau zu erhitzen, zu bohren und zu schleifen, erläutert Maltz. Denn sobald man kleine Abweichungen im Muster hat, wird die Kette ziemlich chaotisch und dreht und bewegt sich nicht mehr so schön. Denn Basis ihrer Kunst ist immer die Linie und ihre Bewegung im Raum.

Auch Schmiedekollegin Marion Heilig hat eine besondere Beziehung zu ihrem Material. Heilig stellt Schmuck aus Feingold und Kunststoff her, aus Plastik und auch aus Blechdosen, die sie selbst gesammelt hat. Eine Telefonkarte verzaubern in einen Ring? Klar! Oder aus den Schraubdeckeln eines Glases mit eingelegten Paprika am Ende eine Kette entstehen lassen? Heilig hat dies zu ihrer Spezialität gemacht.

„Ich schaue mich überall um“, sagt die Wahlberlinerin aus Worms über ihre Sammelwut. „Ich habe viele Telefonkarten gesammelt. Ich finde das ein wunderbares Material und habe gedacht: Was könnte ich hieraus machen?“ Also, Fingerringe, zum Beispiel. So gerät ein bunter Telefonkartenschnipsel einfach auf einen Silberring, wenn Heilig damit an die Arbeit geht. Sie kann einem Ring außerdem immer eine andere Ansicht geben, wenn jemand Lust zu einem „neuen“ Fingerschmuck hat, aber nicht gleich einen neuen Ring kaufen will. Heilig wechselt dann nur den Schnipsel, der auf raffinierte Weise an der Oberseite des Ringes befestigt ist. „Manchmal bringen Leute auch ihre eigene Karten mit, die ich dann verarbeiten kann“, sagt Heilig.

Geschickte Hände. Fred Jacob ist einer der letzten Korbmachermeister der Region Berlin-Brandenburg.
Geschickte Hände. Fred Jacob ist einer der letzten Korbmachermeister der Region Berlin-Brandenburg.

© Stickforth

Im Schaufenster in dem Atelier an der Lychener Straße 5 liegen auch Heiligs Spiralarmbänder aus Kunststoff, Blattgold und Lack in verschiedenen Größen. Für diese Armreifen wurde die Designerin mit dem 1. Platz des Berliner Landespreises Gestaltendes Handwerk 2007 ausgezeichnet. Die Armbänder, so urteilte die Jury, „bestechen durch ihre klare Linie, Transparenz und ein junges Design, das mühelos den Sprung über die Generationen hinweg schafft“.

Friederike Maltz war übrigens 2007 die Gewinnerin des dritten Preises des Wettbewerbs. Auch preisgekrönt ist Joachim Dombrowski. Der in Polen geborene Schmuckhersteller arbeitet am liebsten mit minimalistischen geometrischen Formen. Er entwirft seine Colliers aus Edelstahl, Silber und Weißgold, wobei er oft Rechtecke, Quadrate oder Dreiecke um ein bewegliches Zentrum ordnet. Wichtig sind ihm Lösungen im Zusammenspiel zwischen Form und Funktion.

Sein erster Entwurf war ein Halsschmuck aus massiven Rundstäben. Ein anderer, besonderer Auftrag war einmal ein Wildschweinzahn, den Dombrowski als Weihnachtsgeschenk für die Frau eines passionierten Jägers gefasst hat.

Obwohl der Gold- und Silberschmied eine Vorliebe für geometrische Einzelformen und Elemente hat, lässt er sich nur von der Natur inspirieren. So könnten Mistelzweige, Herbstlaub oder Gras zwischen dem Kopfsteinpflaster der Anfang einer Kette sein.

Geschickte Hände. Fred Jacob ist einer der letzten Korbmachermeister der Region Berlin-Brandenburg. Neben Reparaturen von Korbmöbeln entwirft Jacob in seiner Korb & Rattan Manufaktur auch aufwendige Skulpturen wie „Die Liegende“.
Geschickte Hände. Fred Jacob ist einer der letzten Korbmachermeister der Region Berlin-Brandenburg. Neben Reparaturen von Korbmöbeln entwirft Jacob in seiner Korb & Rattan Manufaktur auch aufwendige Skulpturen wie „Die Liegende“.

© Flechtwerk Berlin

Die drei Gold- und Silberschmiede Maltz, Heilig und Dombrowski arbeiten zusammen in ihrer Werkstatt, wo man ihnen dieses Wochenende zuschauen kann, wie sie ihren Schmuck anfertigen.

Ein vierter, besonderer Gast im Atelier an diesem Wochenende ist die Täschnerin Annette Kirschenknapp. Seit ihrem neunten Lebensjahr ist Kirschenknapp nicht ohne Tasche aus dem Haus gegangen. Und bevor sie sich für eine Damenschneiderlehre entschied, hat sie schon an der Nähmaschine ihrer Mutter verschiedene Beutel, Taschen und Kleider aus Stoffresten und ausrangierten Markisen genäht. Ja, die Liebe sitzt tief.

Kirschenknapp setzt auf ökologisch produziertes hochwertiges Material. „In vielen Fällen gibt es chemische Stoffe im Leder“, sagt sie. „Man gerbt oft mit haut- und umweltschädlichen Stoffen. Viele Menschen sind hiergegen allergisch.“ Deswegen achtet Kirschenknapp darauf, dass ihr Leder, das immer aus Deutschland kommt, pflanzlich gegerbt ist.

Für die Tage des Europäischen Kunsthandwerks an diesem Wochenende ist die Lychener Straße ein guter Ausgangspunkt für die Entdeckungsreise.

Detailverliebt. Geschnitzter Kopf eines Elektro-Cellos von Kristoffer Becker, der in seiner Manufaktur kOff traditionelle Geigenbautechnik mit neuem Design verbindet. Jedes Instrument ist in Handarbeit hergestellt und ein Unikat.

Vergoldermeisterin Anja Isensee vergoldet neben Rahmen und Skulpturen auch passend zur Saison Ostereier.

Von der Textilkunst zur Keramik. Die Diplomdesignerin und Keramikerin Susanne Protzmann vom gleichnamigen Keramikatelier lässt sich von außereuropäischen Volkskulturen sowie den Ornamenten und Formen der Textilkunst inspirieren. Sie nutzt vor allem klassische Formen.

Zum Anbeißen? Eher nicht. Was auf den ersten Blick wie eine verpackte Praline aussieht, ist auf den zweiten Blick eine Vase, auf der sich kleine vergoldete Frösche tummeln. Adam Ziege von ADAM & ZIEGE Porzellanmanufaktur & Designatelier in Stahnsdorf hat diese Vase aus Porzellan entworfen. Ziege ist auf Hartporzellan wie zu Böttgers Zeiten spezialisiert.

Bohème Sauvage ist das Thema von Anna C. Menzel, Modistenmeisterin, die gerne für Partys im Stil der zwanziger Jahre einen verrucht-mondänen Kopfputz entwirft, mit Pailletten, Federn und Tüll. Man kann sich aber auch klassisch von ihr „behüten“ lassen.

Weitere Informationen im Internet:

www.3tage-handwerk-design-berlin.de/

Zur Startseite