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Berlin: Die Fahrt aus dem Chaos

Erst gab es Ärger bis spät in die Nacht, doch am Tag eins des neuen Preis- und Buchungssystems gelang der Bahn gestern ein reibungsloser Start – Kritiker aber fordern die Rückkehr zur alten Bahncard

Pünktliche Züge, neue Uniformen und kürzere Schlangen an den Schaltern – die Deutsche Bahn ist gestern weitgehend reibungslos in den wichtigsten Fahrplanwechsel seit Einführung des ICE im Jahr 1991 gestartet. Nach den zum Teil chaotischen Szenen vom Freitag und Sonnabend an den Fahrkartenschaltern war die Atmosphäre am Tag eins des neuen Preis- und Buchungssystems geradezu entspannt. Am Zoo kamen Kunden am Expressschalter in vier Minuten zum Zuge. An den Schaltern mit Reservierungsmöglichkeit warteten Bahnkunden etwa eine Viertelstunde. Am Nachmittag wurde es wieder voller, am Alexanderplatz schlängelte sich die Reihe der Wartenden durch das enge Reisezentrum – wer sich um 15 Uhr dort anstellte, hatte 36 Kunden vor sich.

Am Samstagabend war es weitaus schwieriger gewesen, an Karten zu kommen. Um 21 Uhr warteten etwa 200 Kunden im Bahnhof Friedrichstraße. Als der Schalterschluss um 22 Uhr näher rückte, schritt der Sicherheitsdienst die Schlange ab und forderte die Kunden auf, nach Hause zu gehen. „Sie kommen heute sowieso nicht mehr ran“, mussten sich die Ausharrenden sagen lassen.

Als die wartenden Kunden sich daraufhin lauthals beschwerten, boten die beiden Mitarbeiterinnen am Schalter an, unbezahlte Überstanden zu machen. Nach knapp zwei Stunden habe sie die begehrte „alte“ Bahncard um 22.45 Uhr doch noch bekommen, berichtete eine Kundin. Damit erhält sie fünfzig Prozent Ermäßigung und die Möglichkeit, auch in Zukunft flexibler und kurzfristiger zu günstigen Preisen ihre Züge zu buchen.

Am Bahnhof Zoo, wo teilweise um die zwanzig Schalter besetzt waren, ärgerten sich die Kunden darüber, dass nicht separate Schalter für die alte Bahncard eingerichtet wurden. Aber auch die, die nur eine Fahrkarte wollten, mussten sich anstellen, denn die Automaten waren wegen der Tarifumstellung abgeschaltet. Um 23.15 Uhr am Sonnabend war dann endgültig Schluss mit den alten Tarifen, um die neue Software einzuspielen, wurden die Computer abgeschaltet. Wie die Bahn gestern Nachmittag in einer ersten Bilanz noch einmal einräumte, sei man von dem großen Andrang auf die alte Bahncard überrascht worden. In den vergangenen Tagen seien doppelt so viele Karten verkauft worden wie üblich.

Der Fahrgastverband IGEB forderte gestern, die Bahncard mit dem 50-Prozent-Rabatt beizubehalten. „Die große Nachfrage zeige, wie ungebrochen attraktiv das Angebot ist“, hieß es in einer Mitteilung der IGEB. Diesem Wunsch wird die Bahn aber nicht nachkommen, im Gegenteil: Wem die „alte“ Bahncard nicht mehr gefalle, kann sie gegen die neue Karte – die deutlich billiger ist, aber nur 25 Prozent Rabatt bietet – umtauschen. Das sogar ohne Gebühr, sagte der Berliner Bahnsprecher Burkhard Ahlert .

Die Züge der Bahn in Berlin und Brandenburg seien gestern zu 93 Prozent pünktlich gewesen, lobte sich der Konzern gestern selbst. Bundesweit waren es zwischen 80 und 90 Prozent. Es habe am Sonntag keine Ausfälle oder gravierende Verspätungen gegeben, sagte Ahlert. Für einen Fahrplanwechsel sind diese Werte richtig gut, bestätigten Experten. Jeder Eisenbahner erinnert sich noch mit Schrecken an den Fahrplanwechsel im Mai 1998, der damals mit der Wiedereröffnung der Stadtbahn kombiniert war. Die Bahn versank im totalen, vorher für unvorstellbar gehaltenem Chaos; die Züge hatten bis zu fünf Stunden Verspätung, wenn sie denn überhaupt fuhren.

Am gestrigen Sonntag waren die Züge nicht nur fast pünktlich – maximal 10 Minuten V erspätung wurden am Abend registriert –, die Schaffner trugen auch die neue Dienstkleidung. Berlin-Brandenburger Schaffner sind ganz vorne, der Rest und die Mitarbeiter in den Bahnhöfen werden im ersten Halbjahr 2003 neu eingekleidet. Noch fehlen aber die neuen Kursbücher, da ein Gericht die Auslieferung gestoppt hat. Die Konkurrenz Connex hatte geklagt, weil die Bahn darin behauptet, die Bücher enthielten alle Züge in Deutschland – eine Connex-Verbindung fehlt aber. Bahnsprecher Ahlert wollte sich gestern nicht zum aktuellen Stand des Streits äußern.

Die nächste große Bewährungsprobe kommt am kommenden Sonntag: Der wird der Hauptreisetag vor Weihnachten.

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