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Berlin: Die falsche Frage

Ein bisschen erinnert die Geschichte von Cornelia Rössler an Franz Kafkas "Prozeß". Ein Mensch wird verhaftet, ohne zu wissen, wieso.

Ein bisschen erinnert die Geschichte von Cornelia Rössler an Franz Kafkas "Prozeß". Ein Mensch wird verhaftet, ohne zu wissen, wieso. Die Ermittlungen wirken undurchschaubar und willkürlich, das Gerichtsverfahren grotesk. Und alles dreht sich um eine nebulöse "Schuld", derer sich der betroffene Mensch bis zum Schluss nicht bewusst ist.

Diese Geschichte beginnt am 10. Oktober auf dem Dulles Airport in Washington. Die 33-jährige Unternehmerin war mit ihrem Geschäftspartner knapp drei Wochen kreuz und quer durch die USA gereist. Die beiden betreiben den "Coffee Shop" im Gebäude des Auswärtigen Amtes und waren auf der Suche nach neuen Trends. An jenem Oktobertag nahm sich eine Flughafen-Kontrolleurin besonders viel Zeit für Cornelia Rösslers Handgepäck. Akribisch kontrollierte die Frau auch die 25 kleinen Fächer für Unterwäsche. Beim vorletzten Fach wurde Cornelia Rössler ungeduldig. "Glauben Sie wirklich, dass im nächsten Fach eine Bombe ist?" fragte sie in perfektem Englisch. Das fand die Kontrolleurin nicht witzig. Die Sicherheitsbeamtin rief ihren Vorgesetzten und sagte ihm, die Frau habe irgendwas von einer Bombe gesagt. Der bat die Reisende in ein Hinterzimmer, holte einen Polizisten dazu. Den Zwischenruf von Cornelia Rössler, sie habe doch nur eine ironische Frage gestellt, quittierten die Männer mit der Bemerkung, sie solle den Mund halten. Das Gleiche hörte sie kurz darauf von FBI-Beamten. Dann eröffnete ihr eine Polizistin, sie sei verhaftet. Der Vorwurf: Äußerung einer Bombendrohung.

Die Beamten fesselten Cornelia Rössler die Hände mit Handschellen auf dem Rücken, schubsten sie in ein wartendes Polizeiauto und brachten sie ins nächste Bezirksgericht. "Bis zu diesem Moment dachte ich immer noch, gleich klärt sich alles." Ihre Stimme klingt gefasst. Aber auch dort fand sie kein Gehör. Der Richter ließ sie einsperren. Tatvorwurf: Falsche Informationen über eine Bombe.

Nach einer erniedrigenden Prozedur, während derer sich Cornelia Rössler vor fünf männlichen Sheriffs nackt ausziehen und einen Gefängnisanzug anziehen musste, fand sie sich in einer kahlen, dreckigen Zelle wieder. Die rund sechs Quadratmeter teilte sich Rössler mit drei anderen Frauen. "Das war mein Glück", sagt sie. "Alleine wäre ich durchgedreht." An ihrer Hilflosigkeit änderte das allerdings nicht viel. Erst der Deputy, der an diesem Abend im Gefängnis Dienst hatte - ein gebürtiger Deutscher - verschaffte ihr die Nummer der Deutschen Botschaft. Über diesen Umweg erfuhr erstmals auch Rösslers Kompagnon, was ihr zugestoßen war. Die Gefangene legte sich schlafen: auf Betonboden, unter einer verschmutzten Wolldecke.

Bei der Anhörung am nächsten Morgen schien das Ende des Albtraums in Sicht. Gegen eine Bürgschaft von 10 000 Dollar bot ihr der Richter eine vorübergehende Freilassung an. Sechs Stunden später nahm man ihr die Hand- und Fußfesseln ab. Mit ihrem Partner und einem Juristen der Deutschen Botschaft fuhr sie zum Flughafen, um sich dort mit einem Anwalt zu treffen - und um ihre Reisetasche abzuholen. Als sie die jedoch in Empfang nehmen wollte, wurde sie erneut in ein Hinterzimmer gebeten. Kurz darauf betraten zwei FBI-Beamte das Zimmer. "Sie sind verhaftet wegen falscher Informationen über eine Bombe." Cornelia Rössler traute ihren Ohren nicht. Alles ging von vorne los.

Die FBI-Männer legten ihr erneut Handschellen an, brachten sie ins nahe gelegene Bundesgefängnis und ketteten sie an einem Stuhl fest. Am nächsten Morgen wurde sie erneut einem Richter vorgeführt. Eine Chance, ihre Version der Geschichte zu erzählen, bekam sie auch hier nicht. Nach kurzer Anhörung entließ der Richter die Angeklagte vorübergehend in die Freiheit. Er sagte, in drei Wochen sei mit ihrer Verhandlung zu rechnen.

Die örtliche Staatsanwaltschaft hatte mittlerweile eine Presseerklärung herausgegeben. Darin wurde Cornelia Rössler in einem Atemzug mit zwei anderen Angeklagten genannt. Einer von ihnen hatte versucht, in seinem Schuh ein Messer in ein Flugzeug zu schmuggeln. Über Rössler hieß es, sie habe bei der Kontrolle ihres Koffers gewitzelt, "die Bombe" sei in einem anderen Koffer. Diese Nachricht verbreiteten auch etliche Zeitungen in Deutschland. "Das ist totaler Quatsch", versichert Rössler. Und auch ihr Kompagnon sagt, sie habe lediglich besagte ironische Frage gestellt, mehr nicht.

Erst nachdem sich der deutsche Botschafter Wolfgang Ischinger in den Fall eingeschaltet hatte, bewegte sich etwas. Die Staatsanwaltschaft schlug einen Handel vor, erzählt Frau Rössler. Die Anklage könnte von einem Kapitalverbrechen auf eine Ordnungswidrigkeit heruntergestuft werden, falls sie selbst sich schuldig bekennen würde, die Arbeit der Kontrolleurin am Flughafen gestört zu haben. Sie willigte ein und bekannte sich schuldig. "Für etwas, das ich nicht getan habe." Cornelia Rössler zahlte 1000 Dollar Geldbuße, die Anklage wurde fallen gelassen. Seit dem 6. November ist sie wieder in Berlin.

Zwei Wochen nach ihrer Rückkehr haben sich ihre Ängste und Demütigungen in Zorn verwandelt. "Wäre ich in Somalia gewesen, oder im Kongo, dann hätte ich solch eine Behandlung vielleicht erwartet", sagt Rössler. "Aber doch nicht in Amerika!" Verständnis für Überreaktionen der Sicherheitskräfte nach den Anschlägen vom 11. September kann sie nicht aufbringen. 1200 Menschen seien seit jenem Tag in den USA verhaftet worden, sagt sie, viele davon unter ähnlich dünnen Vorwürfen wie sie selbst. Darauf will sie mit ihrer Geschichte die Öffentlichkeit aufmerksam machen.

Bis gestern abend war anzunehmen, dass Cornelia Rössler kommende Woche erneut die indirekten Folgen des 11. September zu spüren bekommen könnte: Es hieß, die geplante Afghanistan-Konferenz solle in Berlin stattfinden. Dafür hätte auch auch das Café im Außenministerium vorübergehend geschlossen werden sollen. Für diese Maßnahme, sagt Rössler, hätte sie größeres Verständnis gehabt. Aber dazu kommt es nun nicht.

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