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Berlin: Die Familie hilft immer

Türkische Unternehmer gehen häufiger Pleite als deutsche – aber sie stehen schneller wieder auf

Wer in das türkische Branchentelefonbuch für das Jahr 2004 schaut, wird unter dem Stichwort „Gastronomie“ fünf und zum Stichwort „Lebensmittel“ knapp 20Seiten finden. Auf den restlichen 200 Seiten kommen ästhetisch-kosmetische Kliniken und Büchereien genauso vor wie Internetcafés, Kohlenhändler, Tischlereien, Uhrmacher und Werbeagenturen.

Selbstständige nichtdeutscher Herkunft machen längst nicht nur Imbissbuden und Gemüseläden auf. Etwa 6000 türkische Betriebe mit 20000 Mitarbeitern gibt es schätzungsweise in Berlin. Doch die Geschäfte laufen nicht immer gut: Die Pleitequote unter türkischen Betrieben ist höher als im sonstigen Berliner Durchschnitt. Während 2003 auf eine Gewerbeanmeldung im Durchschnitt insgesamt 0,71 Abmeldungen kamen, waren es bei Geschäften mit türkischen Inhabern 0,89.

Der Türkisch-Deutsche Unternehmerverband (TDU) bietet deshalb Beratungen speziell für ausländische Geschäftsleute an, damit diese nicht gleich nach einem Jahr wieder aufgeben müssen. „Die Situation für türkische Einzelhändler ist nicht rosig“, sagt Ahmet Ersöz vom Vorstand der TDU. Viele türkische Geschäftsinhaber stünden derzeit 15 bis 16 Stunden in ihren Läden und lebten mit wenig Geld, um nicht dichtmachen zu müssen.

Doch entmutigen lassen sich nur die wenigsten selbständigen Migranten: Der Überlebenstrick besteht oft darin, dass im Familienverbund gedacht wird. „Eine Familie hat oft gleich mehrere Geschäfte“, sagt Ersöz. Oder der Geschäftsinhaber mache einen Laden zu, um woanders gleich ein neues Geschäft zu eröffnen.

Und so gibt es von Jahr zu Jahr immer mehr Geschäftsanmeldungen von nichtdeutschen Existenzgründern. Bei einem Ausländeranteil von 13,2 Prozent wurden im vergangenen Jahr etwa 15 Prozent aller neuen Unternehmen von Migranten gegründet – also überdurchschnittlich viele. Von 10000 Ausländern machten sich im vergangenen Jahr 101 selbstständig. Der allgemeine Durchschnitt in Berlin lag nur bei 81 Personen je 10000 Einwohner.

Demnach hatten sechs Prozent der 2003 angemeldeten Geschäfte in Berlin einen Chef mit türkischem Pass und mehr als elf Prozent besaßen die Nationalität anderer Staaten. Dabei tauchen gar nicht alle nicht-deutschen Geschäftsleute in der Statistik auf: So gibt es ausländische Unternehmer, die einen deutschen Besitzer angeben, weil sie sich beispielsweise wegen eines befristeten Aufenthaltsstatus nicht selbstständig machen dürfen.

Genauso wird die vietnamesische Chefin eines Bekleidungs- oder Blumengeschäfts nicht gezählt, wenn ihr Laden auf den Namen des deutschen Ehemannes läuft. Und all die eingebürgerten Migrantenkinder, die im türkischen Branchenbuch für ihre Praxen, Geschäfte und Agenturen werben, verschwinden in der offiziellen Statistik unter dem Stichwort „deutsch“.

Hinter dieser Statistik verbergen sich Erfolgsgeschichten wie die von Mehmet Özcan (54), dem der Molkereivertrieb Özcan GmbH in Spandau gehört. Er macht sein Geschäft unter anderem mit dem bekannten Joghurt-Getränk Ayran, das in einer Spandauer Fabrik hergestellt und abgefüllt wird. Das Rezept und den Namen ließ er im Jahr 2000 patentieren. Seitdem geht es für ihn bergauf. Sein „7gün Ayran“, was so viel bedeutet wie „Sieben Tage Ayran“, liefert er heute zusammen mit acht Mitarbeitern allein in Berlin an 800 Kunden.

In einigen Jahren soll seine 21-jährige Tochter nach ihrem Betriebswirtschaftsstudium die Firma übernehmen. „Sie soll es einfacher haben als ich“, sagt Özcan. Er musste seinen Ayran anfangs noch im Männercafé seines Vaters verkaufen und arbeitete in Fabriken, Imbissen und Restaurants, bevor er vor 15 Jahren seine eigene Firma gründete.

Suzan Gülfirat

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