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Berlin: Die flinken Fußballerinnen vom Kreuzberger Bolzplatz

Es gibt Vorurteile, Bedenken und manchmal auch Häme: Wie sich die Talente beim BFC Türkiyemspor trotzdem durchsetzen

„Konzentriert euch, Mädchen!“ Murat Dogan ist deutlich zu hören auf dem Kunstrasenplatz in Kreuzberg, nahe Schlesische Straße. Der kleine Platz am Ufer des Kanals ist aufgeteilt in zwei Hälften. Im vorderen Teil spielen Jungs schnellen, aggressiven Fußball. Im hinteren Teil sind mit kleinen, bunten Plastikhütchen mehrere Slalomparcours markiert. Dort will Murat Dogan, dass sich die Mädchen konzentrieren, dort sollen sie den Ball am Fuß um die Hütchen leiten, am besten so perfekt wie die Spielerinnen viele tausend Kilometer entfernt bei der Frauen-Fußball-WM in China. Auf seiner Trainingsjacke steht in großen Lettern „Mädchenteam“. Auch die Trikots seiner Spielerinnen sind bedruckt, mit Namen wie Hülya, Lara oder Mandana.

Die meisten der Mädchen kommen aus Kreuzberg. Dort liegt auch das Vereinslokal, erkennbar als Männertreffpunkt der organisierten Art, mit dem Vereinslogo über der Tür. Immerhin ein Logo, das zu verbinden sucht: Im blauen Kreis trifft türkische Fahne auf Berliner Bär. Es steht für Türkiyemspor Berlin. 1978 als Migrantenverein BFC Izmirspor gegründet, bot er damals die fußballerischen Heimat für nach Berlin gekommene Türken aus der Nähe Izmirs. Seit 1987 heißt der Verein Türkiyemspor und ist mit seinen annähernd 300 Mitgliedern heute der bekannteste Migrantenverein.

Eines der Mädchen ist Hülya. Hochgewachsen, schlank, mit langen Haaren und einer umhängenden Sporttasche kommt die 14-Jährige zum Training, in Begleitung ihrer zwei Jahre älteren Schwester Sultan, deren Haare unter dem Kopftuch verborgen bleiben. Die Trainingsjacke trägt Hülya nicht nur zum Training, sondern bei Freizeitkicks auf Bolzplätzen. Es ist mehr als ein Erkennungszeichen im Kiez, es ist ein Markenzeichen: Spielerin von Türkiyemspor. Und Hülya spielt viel, nachmittags nach der Schule, nach den Hausaufgaben zieht sie los, mit Cousins oder mit Zeynep, einer Freundin, die auch bei Türkiyemspor spielt.

Hülya ist in Berlin geboren. Mit drei Geschwistern und ihren Eltern wohnt sie am Heinrichplatz. Der Opa meldete sie bei Türkiyemspor an. Warum der Opa, warum Türkiyemspor, warum Fußball? Hülya lächelt bei diesen Fragen. „Er hat gesehen, wie viel Spaß mir das macht.“ Mehr mag sie erst mal nicht dazu sagen, sie ist schüchtern. Ganz anders ihre Schwester Sultan: „Du spielst gut, deswegen.“ Sultan ist, wann immer sie kann, bei den Spielen dabei. Warum sie selbst nicht spielt? „Weil ich mich als 12-Jährige dafür entschieden habe, das Kopftuch zu tragen. Und damit kann ich nicht Fußball spielen. Oder vielleicht doch?“ Auf einem Foto hat sie schon Spielerinnen mit Kopftuch und langen Hosen und Hemden spielen sehen. Hülya trägt ihr langes Haar offen, auch beim Spiel, hat sich anders als die älteren Schwestern gegen das Kopftuch entschieden. Warum? „Einfach so.“

Fußball ist ihr Traum, und den lebt sie. Die Mutter habe Bedenken, „möchte, dass ich einen guten Schulabschluss mache“. Hülya spielt im Mittelfeld und schießt von da aus Tore. Bei Türkiyemspor fühlt sie sich aufgehoben, „hier hab ich Chancen, zur Nationalelf zu kommen, zur türkischen natürlich“. Eine Anfrage des Nationaltrainers gab es angeblich bereits.

Seit 2004 spielen die Mädchen bei Türkiyemspor. Der Förderverein wollte es so, wollte Fußball anbieten für Mädchen mit Migrationshintergrund, für Mädchen, die zu Hause wenig Förderung für diesen Sport erhalten. Im Verein zunächst belächelt, nicht wirklich ernst genommen, begann die Arbeit am Rande der Jugendabteilung mit einem D-Jugend-Team. Heute sind es drei direkt der Jugendabteilung angeschlossene Teams.

Anfangs waren es überwiegend türkische Mädchen, die zu Türkiyemspor kamen, aus dem direkten Umkreis der Vereinsangehörigen oder Fans. „Heute sind wir schon bedeutend multikultureller“, sagt Murat Dogan. Jetzt sind 35 Mädchen zwischen sieben und 14 Jahren eingeschrieben, türkische, kurdische, deutsche Mädchen und solche, deren Eltern aus verschiedenen Ländern stammen.

Karla und ihre beste Freundin Toya leben beide bei ihren Müttern im Wrangelkiez. Toyas Vater ist Franzose und lebt mit zweiter Familie in Frankreich. Karla pendelt zwischen Vater und deutsch-italienischer Mutter. Auch die iranisch-deutsche Mandala gehört zum Team. Lara wandert zwischen deutscher Mutter am Schlesischen Tor und türkischem Vater und dessen Großfamilie am Görlitzer Bahnhof hin und her. Helen kommt aus einer spanisch-deutsch-amerikanischen Familie. Die siebenjährige Seval mit polnischer Mutter und türkischem Vater ist die Jüngste im Team. Sie ist verwandt und lebt im selben Mietshaus mit Gamze, die ebenso wie Sinem türkische Eltern hat. Sinem kommt aus dem südlichen Neukölln. Ein weiter Weg. Das Team ist es ihr wert. Auch Swetlana, eine deutsche Spielerin aus der Mitte Neuköllns, hat mit einer Handvoll Freundinnen zu Türkiyemspor gefunden.

Für Mädchen aus türkischen Familien „ist das Fußballspielen weit mehr als nur eine Sportart. Hier sind Chancen für Freundschaften, für Kontakte außerhalb der familiären Kreise.“ Sie treffen sich alle zum Fußball beim türkischen Verein, mit Deutsch als Trainings- und Spielsprache. Dass sich die Mädchen „über den Fußball Anerkennung und Respekt verschaffen“, dafür sei Hülya ein gutes Beispiel. Sie ist eine anerkannte Größe auf den Bolzplätzen im Kiez.

Die Väter sind oft nicht wirklich begeistert über ihre fußballspielenden Töchter, vor allem ab der C-Jugend. „Sobald die Mädchen ihre Rundungen bekommen, meinen einige Väter, sie sofort vom Platz nehmen zu müssen.“ Murat Dogan gelingt es nicht immer, sie bei einem Glas Tee vom Gegenteil überzeugen.

Die Arbeit mit den Mädchen hängt bisher an Dogan, der selbst einer der Hoffnungsträger Türkiyemspors war, verletzungsbedingt aber seine Karriere beenden musste. Das hat den Vorteil, dass viele türkische Väter ihn kennen, ihn schätzen und ihm vertrauen, wenn er bei ihnen vorspricht und nach der Erlaubnis für die Einschreibung der Tochter bittet. Er organisiert den Mädchenbereich und trainiert die C-Jugend. „Ein Fulltimejob neben meinem Fulltimejob. Da gibt es schon mal Risse in der Planung.“ Der 30-jährige arbeitet als Galvaniker in einem Kreuzberger Betrieb. Er ist in Kreuzberg aufgewachsen, hat hier als Kind und Jugendlicher oft genug die Härte zu spüren bekommen.

Die Mädchenteams von Türkiyemspor sollen offen sein für alle, egal woher sie kommen, das ist Murats Ziel. Keine einfache Sache in einem Verein, dessen Name Türkiyemspor – meine Türkei – allein schon eher nach Abgrenzung schmeckt. Und in dessen männlichen Jugendteams überwiegend türkische Jungs spielen.

Toya und Karla fühlen sich bei Türkiyemspor gut aufgehoben. Dass es ein türkischer Verein ist, ist für Karla in Ordnung, „so ist Kreuzberg, ein kunterbunter Haufen“. Verbessern? Toya überlegt kurz: „Sicher wäre es super, wenn wir dort auch einen Treffpunkt hätten, ein Lokal, wo auch unsere Pokale stehen.“ Sicherlich gibt es Unterschiede im Team, aber das „hängt nicht unbedingt mit der Herkunft der Einzelnen zusammen, das hängt auch stark davon ab, auf welche Schule du gehst.“ Für gemeinsame Freizeit mit den Mädchen vom Team fehlen noch Angebote, fehlen Räume für spontane Treffen oder verabredete Aktionen.

Murat sieht viel spielerisches Potenzial bei den Mädchen. „Aber wir brauchen mehr Unterstützung von Sponsoren.“ Gerade bei den Mädchen, die aus so unterschiedlichen und doch für diesen Bezirk so typischen Familien kommen, „reicht es nicht aus, ein Training durchzuziehen und das sonstige Leben auszuklammern. Da musst du auch wissen, was zu Hause los ist.“ Eine aufwendige, manchmal chaotische Arbeit, die doch so wichtig ist für die Mädchen, für die Betreuer, für das Zusammenleben im Kiez. Erika Harzer

Erika Harzer

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