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Berlin: Die Geheimnisse der rot-roten Aura

Alles wird gut. Der Schuldenberg bald nur noch eine vage Erinnerung, die rot-rote Koalition ein Bündnis der Harmonie.

Alles wird gut. Der Schuldenberg bald nur noch eine vage Erinnerung, die rot-rote Koalition ein Bündnis der Harmonie. Alles eine Sache des Trainings, sagt die weißgewandete Frau, eine Frage des gegenseitigen Umgangs. "Andere Lösungen für die bekannten Konflikte", steht auf ihrer Visitenkarte. Räucherkerzen-Schwaden und Sphärenklänge ziehen durch den Raum. Die ausgewiesene Diplom-Kunst-Gestalt-Psychodramatherapeutin spricht gerade von "Seelenbildern", die man bei Wowereit & Co lesen müsse. Von "Verfassungen", die zu erarbeiten seien - harte Arbeit, aber sie verspreche einiges: "Die Blockade der Parteien kann man lösen", sagt die Frau lächelnd.

Dieser Tage wird im Wilmersdorfer Logenhaus ohnehin oft und warm gelächelt, bei den "Esoterik-Tagen 2002". Schon auf der Treppe geht es los, wo Plakate ankündigen, was die Besucher in der ersten Etage erwartet: Frauen, zumeist in den so genannten besten Jahren, mit wild ondulierten Frisuren, die Außergewöhnliches bieten: Kontakt zum Jenseits, Aurasehen, Elbenzauber, Handlesen, Pendeln, Gebets-Energie-Heilung, Coca-Leaf-Reading...

Wie beispielsweise Diana Stobernack, die sich oben einen mit Tüchern verhängten Stand eingerichtet hat. "Diana, geboren 1967 in Hörstel / Westfalen", steht auf ihrem Werbe-Faltblatt. "Ich befasse mich seit meiner Jugend mit Kartenlegen und Zukunftsdeutung." Gerade legt Diana einer Kundin für 36 Euro die Karten, doch ihr Mitarbeiter glaubt auch nicht, dass die Chefin in Sachen Berlin weiterhelfen könnte. "Sie erfasst ja nur das Spiegelbild des eigenen Unterbewusstseins", sagt er und meint: Da müssten sich der Regierende Bürgermeister oder zumindest der Finanzsenator schon einmal selbst hierher bemühen, damit Diana sehen kann.

Auch am nächsten Stand widmet man sich für 65 Euro dem Dienst am Menschen: Handlesen, Pendeln, Kartenlegen. "Ich schaue für Sie in die Zukunft", lockt ein Schild. Auch für Berlin? "Das wird schwierig", sagt die Mitarbeiterin, während sie Faltblätter verteilt. Schließlich sei die Politik ein weites Feld, schrecklich verschachtelt und unübersichtlich. Doch dann fällt der hilfsbereiten Frau, die am Stand gleich jeden duzt, doch noch etwas ein: die Lektüre der Zeitschrift "Sein". Genauer, die Durchsicht der Horoskope-Seite, wo die Vorhersagen nach Regionen unterteilt seien. "Da könnte man ansetzen", sagt die Frau und nippt an ihrer Kaffeetasse.

Offen bleibt, ob sie mit ihrem Nachbarn kooperiert, denn nebenan wird hinter blauen Vorhängen aus dem Kaffeesatz gelesen. Zwischen den Wahrsagern bieten Händler esoterisches Allerlei: Brunnen "zur Harmonisierung", Wunschpyramiden, edle Steine mit fördernder Wirkung. Bei Marica Henning lässt sich derweil ein junges Paar die Zukunft seines Babys deuten. Offenbar eine rosige Zukunft, die Eltern strahlen. Vielleicht könnte Marica Henning ja auch in Berlin für gute Laune sorgen, bequemte sich einer der Senatoren doch am heutigen Sonntag noch schnell ins Logenhaus an der Emser Straße. Denn für 80 Euro nimmt "Europas bekannte Seherin-Medium" eine schwere Last auf sich: "Möge das Leid aller Wesen geheilt werden, indem ich es voll und ganz als das meine annehme." Die sechseinhalb Milliarden Euro Schulden seien ihre!

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