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Berlin: Die gereimte Stadt

In 1200 Versen schufen 75 Autoren „Das Große Berlin-Gedicht“

Ach ja, Tüten-Paula. Ist mehr als ein Jahrzehnt her, dass sie den Kurfürstendamm bewohnte, besonders gern nahe der Mosaikvase Ecke Grolmanstraße, Anwohnern ein vertrauter, Touristen ein irritierender Anblick. Neugier erweckte sie allemal, wies diese stets zurück. Fantastische Geschichten umrankten sie, dabei war Paula ganz unspektakulär als Rentnerin aus Halberstadt nach West-Berlin gekommen. Dorthin ist sie 1998 zurückgekehrt.

Auf ihre Art ein Original – und unvergessen. Denn mit ihr beginnt „Das Große Berlin-Gedicht“, ein Mammut-Poem, an dem 75 Dichter gearbeitet haben und das an diesem Sonnabend im Rahmen des Lyrikfests zum 20-jährigen Bestehen der Literaturwerkstatt Berlin präsentiert wird: „Ick bin de Paula mit die Tüten, / fast jeder kenntma in Berlin. / Kam eener nah, wurde laut jeschrien, / ick konnte kläffen, zetern, wüten.“ Die ersten vier Verse nur von 1200, genau 100 für jeden der zwölf Bezirke – das war die Idee, mit der die Literaturwerkstatt lyrik-affine Berliner aufrief, ein umfassendes Gedicht ihrer Stadt zu schaffen, in der Tradition der Großstadtlyrik von Brecht, Kästner, Tucholsky, Benn. Je ein erfahrener Dichter stand den Gruppen zur Seite, die sich im Mai und Juni zum Verseschmieden zusammenfanden. Entstanden ist so „ein ,verdichteter’ Stadtplan“, wie es im Vorwort des nun auch als Buch vorliegenden Metropolengedichts heißt, ein Zeugnis der Vielfalt dieser Stadt, die sich nicht nur in den beschriebenen, bezirklich sortierten Orten spiegelt, sondern ebenso in Alter, Herkunft der Autoren, in der Art des Dichtens. Reim oder nicht Reim – das war dabei nur eine Frage. Manch einem oder einer lag mehr die bildhafte Schilderung wie in den Paula-Versen, andere liebten es eher assoziativ: „Eine Mitte ist ein Punkt, ein Schnittpunkt von Wegen, / in Berlin ist sie ein Bezirk von so großer Fläche, / dass sie manchen nur Leere mit goldenem Rahmen, eine schmerzende Abwesenheit der Geschichte ist, / anderen ist sie ein Ort für Engel und bedürftige Geister, / oder gesehen durch ein Facettenauge, die Überreizung, / die dich aus deiner Sprache kippt.“ ac

„Dichter dran. Das Große Berliner Lyrikfest“, 17. September, ab 14 Uhr, Kulturbrauerei (www.literaturwerkstatt.org). „Das Große Berlin-Gedicht“ ist im Bebra-Verlag erschienen (80 Seiten, 8 Euro)

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