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Berlin: Die Geschichte des Reichstags: Und Christo ist nicht dabei

"Sie Gauner, Sie!" Eine Verbalinjurie, gewiss, aber heutzutage eine eher altertümliche und recht milde.

"Sie Gauner, Sie!" Eine Verbalinjurie, gewiss, aber heutzutage eine eher altertümliche und recht milde. Liest man so etwas, bekommt man eigentlich nichts mit. Und auch die weiteren Sätze, die den "Gauner" niedermachen sollen, wirken gedruckt vergleichsweise papieren. Wenn man dann aber Hermann Göring direkt im Ohr hat, wie er im Prozess zum Reichstagsbrand versucht, seinen Kontrahenten Georgi Dimitroff in Grund und Boden zu schreien, wenn man diesem Bellen, Kläffen, Brüllen lauscht - dann muss man auf die Worte gar nicht mehr achten, der Tonfall zeigt deutlich, was hier abläuft.

Der Prozess, dem das Rededuell entstammt, fand in Leipzig statt. Das Gericht war zum Ortstermin nach Berlin gekommen, dort, in einem unzerstörten Raum des Reichstags, war es zu der Konfrontation zwischen Göring und Dimitroff gekommen. Das Tondokument fand also doppelt berechtigt Eingang in das von Michael S. Cullen veröffentlichte Hörbuch "Der Reichstag", das im Hörverlag "Hertzfrequenz" erschienen ist und gestern im ehemaligen Reichstagspräsidentenpalais vorgestellt wurde. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse war eigens gekommen, lobte das runderneuerte Reichstagsgebäude im Allgemeinen und die Doppel-CD im Besonderen, verwies auf die anhaltende Attraktivität des betagten Gebäudes: Seit Neubezug durch den Bundestag schon viel Millionen Besucher!

Das Projekt war durch Kooperation mit dem Deutschen Rundfunkarchiv zustande gekommen, auch dessen Direktor Joachim-Felix Leonhard war gekommen, um dem Hörbuch (44,90 Mark, als Doppel-MC 37,90 Mark) Aufmerksamkeit und Hörer zu sichern. Manche historisch wertvolle Tonkonserve wurde in den nach 28 Kurzkapiteln geordneten Sprechertext eingewoben, etwa die (nachträglich aufgezeichnete) Scheidemann-Rede zur Ausrufung der Republik 1918, Ausschnitte von Alfred Brauns Reportage über die Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Außenminister Gustav Stresemann 1929 oder die Rede der Alterspräsidentin Clara Zetkin zur Konstituierung des Reichstags 1932. Als zeitlich letztes Tondokument wurde Ernst Reuter 1948 aufgenommen. Kein O-Ton von Architekt Norman Foster, keiner von Christo und Jeanne-Claude. Das leuchtet nicht recht ein.

ac

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