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Berlin: Die Grammatik durchleuchten

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Nach der „seit zehn Jahren praktizierten Lohnzurückhaltung“ sei die Wirtschaft wieder „unheimlich wettbewerbsfähig“, sagte der Bundesfinanzminister. Macht ihm das Angst? Nicht doch, Hans Eichel hält die Wirtschaft für erfreulich wettbewerbsfähig. Nur passt hier das Wort unheimlich nicht, denn etwas Unheimliches ist etwas zum Fürchten.

Doch wir nehmen es nicht so genau. Wir reden so unkonventionell, wie wir leben. Ungeniert leisten wir uns sprachliche Schnitzer und unappetitliche Vergleiche. Als die Linkspartei noch PDS hieß, meinte deren Berliner Fraktions und Parteivorsitzende Stefan Liebich: „Keine Partei wurde so intensiv durchgeleuchtet wie die PDS.“ Wer die Grammatik durchleuchtet hat, weiß, wie man die Verben korrekt beugt. Nicht nur im Wahlkampf müssen die Politiker aufpassen, dass ihre Worte nicht missdeutet werden. Edmund Stoiber aber ließ wissen, seine Worte über den Osten seien „missgedeutet“ worden. Die Formulierung ist ihm bestimmt nicht „missgelungen“, höchstens misslungen.

Neulich las ich, dass der Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen „in das angesagte Szeneviertel am Hackeschen Markt“ ziehen will. Ich weiß nicht, was ein angesagtes Szeneviertel ist und welche Bedeutung es für den Umzug der AOK hat. Aber es war ja nur eine Floskel. Ich weiß auch nicht, was ein „CDU-General“ und was ein „Unionsparlamentsgeschäftsführer“ ist. Es gibt einen CDU-Generalsekretär und einen Fraktionsgeschäftsführer der CDU/CSU im Bundestag. Doch es ist ein Zeichen der Brutalisierung der Sprache, dass die Begriffe verstümmelt werden.

Nach dem Gerede des brandenburgischen Innenministers Jörg Schönbohm von der Proletarisierung der Gesellschaft im Osten durch die SED meinte ein namentlich nicht genannter CDU-Mann, es gebe „keine Hass-Mails, in denen jemand über den Osten abkotzt“. Du liebe Güte, er ist doch nicht etwa ein Opfer der Proletarisierung, durch wen auch immer. Es ist eine merkwürdige öffentliche Auseinandersetzung, die im „Abkotzen“ gipfelt. Gibt es noch Politiker, die sich sachlich klar und allgemein verständlich ausdrücken?

Man kann die Sprache so lange malträtieren, bis wir alle sprachlos sind. Gregor Gysi erläuterte, wie gut er sich mit seinem neuen Freund Oskar Lafontaine versteht: „Wir haben uns gegenseitig noch nie beschissen.“ Na das ist ja fein.

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