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Berlin: Die Grenze kommt

Ljutomer, km 1539: Der Winzer Dušan Jureš rückt an den Rand

Unter der Terrasse von Jožica und Dušan Jureš breiten sich vier Länder aus: Ganz rechts liegt Ungarn, geradeaus reicht der Blick über die Weinberge ihrer Heimat Slowenien bis nach Österreich. Und links auf dem Höhenzug beginnt Kroatien. Auch der Weg, der von der Landstraße steil bergauf zum Gut von Jožica und Dušan Jureš verläuft, führt nach Kroatien. Er ist bis zur Grenze asphaltiert, aber so schmal, dass keine zwei Autos aneinander vorbei passen. 600 Meter und eine Hand voll Häuser weiter verläuft die Grenze, die lange keine war und noch immer kaum zu erkennen ist. Aber die Leute spüren sie schon: Die Slowenen haben ein Warnschild aufgestellt, die Polizei schaut jetzt öfter vorbei. Allmählich wird die Grenze dichtgemacht. So wollen es der Vertrag von Schengen und die Beamten in Brüssel, ein gefühltes Lichtjahr von hier entfernt.

Wenn man Dušan Jureš fragt, wie er das findet, muss er erst einmal in sich hineinhorchen. Es betrifft ihn ja nicht so unmittelbar wie den Winzer am Ende der Straße, der in Slowenien wohnt und in Kroatien steht, sobald er seinen Weinberg vor dem Gartenzaun betritt. Aber auch Dušan Jureš muss sich erst noch daran gewöhnen, dass er jetzt plötzlich an den Rand rückt, nachdem er sein ganzes Leben mitten in Jugoslawien verbracht hat. Slowenien und Kroatien – das war wie Brandenburg und Sachsen. Einerseits. Andererseits mag Dušan Jureš die Kroaten nicht. Die Serben sind ihm lieber. Sie sind freundlicher, sagt er. Außerdem hat er einen serbischen Vornamen. Aber eigentlich redet er lieber über den Wein, den er mit seiner Frau in mühsamer Handarbeit hegt. 800 Liter produzieren sie im Jahr – für sich und ihre Feriengäste. Hier im Osten von Slowenien wird nur Weißwein angebaut.

Am liebsten trinkt Dušan Jureš seinen goldgelben, blumigen Traminer. Im Viertelstundentakt füllt er aus einem großen Krug sein Glas auf und gießt sich Wasser in den Wein. Wenn er Gästen nachschenkt, dann ohne große Gesten. Er ist das Gegenteil von einem Fernsehkoch. Dass die Qualität stimmt, hat er amtlich: Die kombinierte Wirts- und Wohnstube hängt voller Urkunden, und einen der vielen Pokale hat Jožica schon zum Becher für Stifte umfunktioniert, weil nirgendwo mehr Platz war. Das älteste Diplom ist von 1933 und Dušans Großvater gewidmet.

Zwischen den Urkunden verbringen die Jureš ihre Abende. Rauchen, trinken und lassen den Fernseher laufen, damit es nicht so still ist. Jožica liest in einer Illustrierten, während Dušans Blicke zwischen Fernseher, Glas und der Holzdecke schweifen. Er hat dunkle, müde Augen und bewegt sich, wenn überhaupt, dann sehr bedächtig. Manchmal redet er ein paar Worte mit seiner Frau. Und vor dem Schlafengehen tritt er hinaus und schaut in die rabenschwarze Nacht. Es ist so dunkel, dass man Himmel und Erde nicht unterscheiden kann. Irgendwo bellt ein Hund. Vielleicht beim Nachbarn, vielleicht in Kroatien.

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