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Loslassen, um anzukommen? Noch ist nicht entschieden, ob Renate Künast vor einer Kandidatur in Berlin den Fraktionsvorsitz im Bundestag abgeben muss.Foto: Imago

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Mögliche Kandidatur in Berlin: Grüne halten Künast den Rücken frei

Renate Künasts Parteifreunde sind gespannt, ob sie im nächsten Jahr gegen Klaus Wowereit antritt. Laut Umfragen hätte sie derzeit eine realistische Chance auf den Sieg.

Von Sabine Beikler

Eine Woche noch will Renate Künast ihren Sommerurlaub in der Holsteinischen Schweiz genießen: lesen, entspannen, im Garten arbeiten und die guten Umfragewerte auf sich wirken lassen. Laut Infratest Dimap würden Grüne und SPD im Bund derzeit auf 48 Prozent kommen. In Berlin sind Grüne und SPD laut einer Forsa-Umfrage mit je 27 Prozent gleichauf. Und mit 40 Prozent liegt Künast in der Bürgermeisterfrage sogar drei Prozentpunkte vor dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Wird sie gegen ihn antreten? Seit sie im Gespräch ist, wächst der Druck auf sie. „Künast wird es im Ergebnis machen müssen“, sagt nicht nur ein grüner Bundespolitiker. Das ist Mehrheitsmeinung auf grüner Landes- und Bundesebene.

Die Grünen haben in Berlin eine realistische Chance, erstmals bundesweit einen grünen Ministerpräsidenten zu stellen. Und erstmals auch mit einer Frau, einer Politikerin, die aus Berlin kommt, keine „Eingeflogene“ wie Friedbert Pflüger bei der CDU war, einer Kandidatin, die hier mehrfach erfolgreich als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl angetreten ist. Eine Kandidatur wäre für die 54-jährige Künast, die ein feines politisches Gespür hat, ein Alleinstellungsmerkmal und mit dem Reiz verbunden, in Berlin auf volles Risiko zu gehen. Von der Landespolitikerin zur Bundesministerin unter Rot-Grün im Bund und jetzt Fraktionschefin im Bundestag: Mit dieser bundespolitischen Erfahrung kann Wowereit, SPD-Parteivize und Leiter der „Zukunftswerkstatt Integration“ in der SPD, nicht punkten.

Künast wird sich im Falle einer Kandidatur klar äußern, für was sie antritt: Wenn, dann will sie Regierende Bürgermeisterin werden und für diese Kandidatur ihre Position auf Bundesebene wohl nicht aufgeben. „Sie wäre bescheuert, wenn sie ihr Mandat niederlegen würde. Sie muss aus der Position der Stärke hier antreten“, sagen enge Parteifreunde aus dem linken und dem Reformerflügel. Ihre Kandidatur würde auf Fraktionsebene flügelübergreifend unterstützt werden. Mit Jürgen Trittin als ihrem Partner in der Doppelspitze versteht sie sich. „Wir ergänzen uns gut“, sagte sie im vergangenen Jahr. Trittin würde ihr den Rücken während des Berliner Wahlkampfes freihalten. „Ihre Kandidatur wird bundespolitisch unterstützt. Da brennt nichts an“, sagt eine grüne Spitzenpolitikerin. Und wie würde sich Künast über ihre Pläne äußern, was sie nach einer Wahlniederlage in Berlin machen würde?

Künast müsste sich bei ihrem Antritt als Spitzenkandidatin auch nach der Wahl zu der Berliner Politik bekennen. Denn eine Kandidatin mit Rückfahrtticket in die Bundespolitik kommt bei den Wählern nicht gut an. Sie könnte es wie Gregor Gysi im Jahr 2001 machen. Der Linkspolitiker trat als Bürgermeisterkandidat an. Er werde unter Rot-Rot auch einen „anderen Senatsposten“ akzeptieren, sagte er damals. Nach der Bildung von Rot-Rot legte er sein Bundestagsmandat nieder, um das Amt des Wirtschafts- und Frauensenators anzutreten. Wohl fühlte sich Gysi aber nicht in dem Amt und trat nur fünf Monate später offiziell im Rahmen der Bonusmeilenaffäre zurück. In den Bundestag zog er erst wieder 2005 ein.

Wie Gysi trat 2001 auch der FPD-Spitzenkandidat Günter Rexrodt als Bundestagsabgeordneter an. Er hielt sich während des Wahlkampfes alles offen. Nach der Wahl hatte er drei Monate ein Doppelmandat und gab Anfang 2002 nach dem Scheitern der Ampelverhandlungen sein Abgeordnetenhausmandat zurück.

1981 legte Hans-Jochen Vogel (SPD) nach dem Scheitern des Stobbe-Senats sogar sein Amt als Bundesjustizminister nieder, wurde in Berlin Regierender Bürgermeister und blieb nach Neuwahlen und seiner Ablösung durch Richard von Weizsäcker (CDU) in Berlin Fraktionschef. „Dieses politische Amt war für mich als früherer Bundespolitiker kein Rückschritt“, sagte Vogel dem Tagesspiegel. Es sei damals um den Zustand der SPD und um die unbedingte Solidarität zu West-Berlin gegangen. Vogel sagt aber auch, dass man dem Wähler „reinen Wein“ einschenken sollte. „Sagt jemand vor der Wahl, er wolle nur für das Amt des Regierenden Bürgermeisters kandidieren, dann kann man ihm keine Vorwürfe machen, wenn er im Fall einer Niederlage nicht in der Landespolitik bleibt. Moralische Maßstäbe werden nur verletzt, wenn einer nach der Wahl anders handelt, als er es angekündigt hat.“

Künasts Parteifreunde sind gespannt, wie sie sich entscheiden wird. Die parteiinterne Dramaturgie aber ist schon auf sie zugeschnitten: Sie könnte ihre Kandidatur auf dem Grünen-Parteitag in Berlin am 6. November verkünden. Zwei Wochen später tagt der Bundesparteitag in Freiburg. Dort ist Dieter Salomon vor acht Jahren zum ersten grünen Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt gewählt worden.

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