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Umarmungsstrategie. Während Claudia Roth, Bundesvorsitzende der Grünen, gerne an das Herz der Partei appelliert, ist der Berliner Fraktionschef Volker Ratzmann eher der Mann für die sachliche Analyse. Machtbewusst ist er aber auch.

© dapd

Die Grünen und die Berlin-Wahl: Volker Ratzmann: Der heimliche Spitzenkandidat

Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann will raus aus der Opposition. Für die Zeit nach der Berlin-Wahl sondiert er schon die möglichen Bündnispartner.

Über die Jahre fällt vor allem seine Professionalität auf. Volker Ratzmann, Fraktionschef der Grünen im Abgeordnetenhaus, will ab Herbst in Berlin mitregieren, und deshalb macht er nichts mehr falsch. Oder fast nichts mehr. Der Politbetrieb verlangt glaubwürdige Strategen. Verpackung und Inhalt müssen zueinander passen. Ratzmann ist der bürgerliche Grüne aus Prenzlauer Berg. Aus Verantwortungsgefühl will er regieren. Grün regieren, im Sinne von nachhaltig, gerecht, öko-liberal, also: nicht zu liberal. Um regieren zu können, betreibt er Strategiepolitik: Er sondiert die Fronten zu anderen Parteien, er prüft den politischen Gegner auf Bündnisfähigkeit. Unregelmäßig-regelmäßig redet er mit dem CDU-Spitzenkandidaten Frank Henkel und würde nicht bestreiten, dass es nach dem 18. September eine politische Lage geben kann, in der die Grünen mit der CDU über eine Koalition verhandeln. Derweil betont Spitzenkandidatin Renate Künast die Nähe zwischen den Grünen und der SPD.

Wenn man ihn so ansieht, könnte der Mann im schicken grauen Anzug auch zur SPD gehören; da pflegen sie die ostentative Krawattenfreiheit, die Ratzmann hochhält, indem er am weißen Hemd zwei Knöpfe offen lässt. Auch sonst ist sein Lebenslauf eher ein linker, typisch für einen politisch bewussten und entschiedenen jungen Mann Jahrgang 1960, einen Grünen der zweiten Generation: 1979 kämpfte er gegen das Atommüll-Endlager in Gorleben. Nach dem Zivildienst – was sonst, damals in Zeiten der Nachrüstungsdebatte? – kam er 1981 nach West-Berlin, auf die Insel der Freien, Karriereverächter und Langzeitstudenten. Ratzmann studierte Jura und betätigte sich als Hausbesetzer. Zu den Grünen, die damals in Berlin-West noch „Alternative Liste“ (AL) hießen, kam er 1986. Für einen, der sich engagieren wollte, war die AL mit ihren Debatten über Gewalt, das imperative Mandat, die Rotation und andere Fundamentalunterschiede zu den „etablierten Parteien“ die einzige barrierefrei zugängliche politische Gruppierung.

Linker Anwalt, Strafverteidiger: Ratzmann gehörte zu den politisch motivierten Juristen, denen die Juristerei nicht der Karriereförderung, sondern der Politik diente. Renate Künast, die die erste Regierende Bürgermeisterin Berlins mit grünem Parteibuch werden will, gewann Ratzmann 2001 für den parlamentarischen Betrieb. Ein Rechtspolitiker wurde gesucht, als die Rechts- und Verfassungsfachkräfte der Berliner Grünen, Künast und Wolfgang Wieland, anderweitig gebraucht wurden: Künast als Bundesministerin im rot-grünen Kabinett von Gerhard Schröder, Wieland als Justizsenator der rot-grünen Übergangsregierung nach dem Bruch der CDU-SPD-Koalition durch den Bankenskandal.

Und Ratzmann wollte dem nicht immer prickelnden Berliner Politikbetrieb einiges abgewinnen: Nach bloß zwei Jahren war er Fraktionschef, nach grüner Sitte stets in Kombination mit einer Frau. Heute ist das Ramona Pop, vom Jahrgang her die dritte Generation der Grünen. Da konnte Ratzmann in acht Jahren Autorität aufbauen.

Nicht mal Fraktionslinke nörgeln an ihm herum: Wenn Ratzmann überhaupt irgendwas nicht ganz richtig macht, hat es mit der grünen Innerlichkeit zu tut: Der Mann ist einfach nicht so herzlich und herzig wie die personifizierte Freude an der Umarmung, Claudia Roth. Das habe bei Ratzmann aber nichts mit „Ungeduld“ zu tun, versichern seine Parteifreunde. Er sei ein ein schneller Denker und nehme sich nicht immer die Zeit, um andere dort abzuholen, wo sie sind. Tatsächlich kann Ratzmann, der Anwalt und Stratege, geduldig über die Strategie der Grünen sprechen. Seit 2006, sagt er, hätten die Grünen einen klaren Kurs verfolgt. Der habe dazu geführt, „jetzt auf Augenhöhe mit der SPD Politik machen“ zu können: „Wir sind viel selbstbewusster und stärker geworden.“

Die grüne Stärke wird am 18. September beurteilt – das Selbstbewusstsein der früheren Alternativpartei ist gewiss stark entwickelt, zumal bei einem wie Ratzmann, der aus dem grünen Milieu von Prenzlauer Berg heraus Politik macht, während er selbst das Milieu sozusagen kräftigt: zwei kleine Kinder, eine Emma, ein Paul, eine grüne Karrierefrau an seiner Seite, eine moderne Ehe: Er entlastete sie, als Kerstin Andreae 2009 Bundestagswahlkampf machte. Im Berliner Wahlkampf entlastet sie ihn, wie er sagt. Und wenn er Zeit hat, sportelt Ratzmann im „greengym“, wo die Ergometer die vom Menschen verbrauchte Energie speichern und nutzen.

Ratzmanns grünes Selbstbewusstsein hat noch vor zweieinhalb Jahren der damals frisch gewählte CDU-Fraktionschef Frank Henkel zu spüren bekommen. Henkel, damals aus dem Trümmern des vorerst letzten CDU-internen Machtkampfs aufgestiegen, musste sich von Ratzmann in einem Interview mit dem Tagesspiegel sagen lassen: „Aber Herr Henkel! Nach der Performance, die Sie hingelegt haben, nimmt es der CDU niemand mehr ab, dass Sie die Impulse für eine neue Orientierung in dieser Stadt geben können.“

Heute macht das grüne Selbstgefühl nicht mal vor der Wirtschaftspolitik halt. Über den Großflughafen BBI als „Drehkreuz“ sagte Ratzmann jüngst: „Die wirtschaftlichen Interessen der Stadt und die Interessen der Anwohner müssen zu einem Ausgleich gebracht werden.“ Damit können alle leben.

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