zum Hauptinhalt

Berlin: Die Hundeversteherin

Wieso hat Benno Angst vor dem Waldweg? Weshalb wollte Moses freundliche Menschen beißen? Tierärztin Ulrike Gieser weiß, wie Tiere ticken. Sie therapiert sie – und manchmal auch die Halter.

Benno zieht Frauchen an der Leine hinter sich her, nichts wie weg vom Waldweg. Sie kann ihn kaum halten. Was hat er bloß? Neben den beiden geht entspannt mit leicht federndem Gang eine Frau mit wuscheligem Kurzhaar, Jeans, einem Rucksack auf dem Rücken. „Mama, ich will nachhause, das ist doof hier“, quengelt sie mit Blick auf den Hund. Genau das scheint Benno-Bürschchen gerade zu denken.

Ulrike Gieser weiß meist eher als die Besitzer, was im Kopf von Vierbeinern vorgeht. In Berlin und im Umland analysiert und therapiert sie Problemhunde, wenn sie zu Hilfe gerufen wird. Die 45-Jährige ist Tierärztin und hat sich auf Verhaltensmedizin bei Hunden und Katzen spezialisiert. Therapie für Tiere – oft die Lösung, wenn keiner mehr weiter weiß. Ulrike Gieser schult auch Berliner Amtstierärzte im Umgang mit aggressiven Hunden und untersucht in offiziellen „Wesenstests“, ob ein Hund einen Maulkorb tragen oder sogar eingeschläfert werden muss. „Kommt aber sehr selten vor“, beschwichtigt sie.

Benno, eine Art hochbeiniger Rauhaardackel, ein etwa kniehoher Mischling, ist ein harmloser Fall – verglichen mit manchem, was sie sonst erlebt. Der eigentlich aufgeschlossene, lustige Hund zeigt Anzeichen einer beginnenden Angststörung. Vor kurzem wurde er gleich drei Mal von größeren Hunden auf dem Waldweg gehetzt. „Er hat in Todesangst geschrien“, berichtet seine Besitzerin, eine Frau um die 50. Seither mag Benno nicht mehr spazierengehen und stürmt in Panik davon, wenn er andere Hunde trifft, vor allem auf dem Waldweg. Kurz vor seinem Zuhause, einem Einfamilienhaus in Lichtenrade, schüttelt sich der Rüde. Darauf hat Ulrike Gieser offenbar gewartet: „Das macht er nicht etwa, weil das Fell nicht richtig sitzt“, sagt sie. „Der hat gerade den Stress abgeschüttelt . . . Es sei denn, er macht das demnächst mit Kamm vor dem Spiegel, dann rufen Sie mich sofort an. Das wäre nämlich was Neues.“ Bennos Frauchen, von Beruf Friseurin, kichert, der Druck ist raus. Das macht die Tierverhaltenstherapeutin gern, die Besitzer ihrer Patienten zum Lachen bringen. „Wenn Leute nicht mehr locker über ihre Hunde lachen können, dann ist wirklich schon viel kaputt.“

Etwa vier Stunden inklusive Anfahrt nimmt sich die Veterinärin Zeit für die Anamnese eines neuen Patienten. Sie kann gut mit Tieren – und den dazu gehörigen Menschen. Benno hatte sie bei ihrer Ankunft wie eine lange vermisste Freundin begrüßt, das macht er nicht mit jedem. Und Frauchen fasst spätestens Vertrauen, als Ulrike Gieser die Handtaschensammlung im Flur toll findet und erzählt, sie kaufe ständig neue Halsbänder für ihre drei Hausgenossen: für Hündin Jarda „eine Seele von einem Hund“, für Vitus, den „Willigen“, der seinem Namen von Anfang an gerecht wurde. Und für Moses, der als besonders schwieriger Patient zunächst in Pflege zu ihr kam. Ohne Ulrike Gieser wäre er wohl eingeschläfert worden. „Als junger Hund ist er vom Auto angefahren worden. Später hat er Menschen gebissen, die ihm zu nahe kamen.“

Die Ursache, erklärt sie, liegt ganz allgemein im Hundehirn: Weil sich nach dem Unfall Menschen zu Moses hinunterbeugten, die ihm helfen wollten, verband der künftig Gesichter mit Schmerz. Die Therapeutin machte aus Moses wieder einen alltagstauglichen Hund – durch „Gegenkonditionierung“ und „Desensibilisierung“. Klingt kompliziert, aber sie kann es erklären – an der Geschichte eines Hundes, der bei einem Feuer in einer Küche verletzt wurde und hinterher Angst vor Kerzen und dem Gasherd hatte. „Er wurde nur noch gefüttert, wenn – zunächst in großer Entfernung – eine Kerze im Raum brannte.“ Die Flamme wurde dann immer ein bisschen näher gerückt. Der Bann war irgendwann gebrochen.

Benno dagegen braucht bloß ein paar Veränderungen und ein Medikament. Die Ansage an seine Besitzer lautet: „Von jetzt an gibt es nur noch draußen Futter – kurz vor dem Waldweg. So verknüpft der Hund den Ort mit etwas Positivem.“ Gieser verschreibt ein mild dosiertes Psychopharmakum, das er zwei Wochen lang vor jedem Spaziergang bekommen soll. „Das nimmt ihm die Angst, so dass er wieder lernen kann, mit anderen Hunden zu spielen.“ Außerdem sollen seine Besitzer ein wenig entschlossener mit ihm sein, das gebe ihm „ein Gefühl der Sicherheit“. Auch so was kann man bei Ulrike Gieser lernen: In ihren Gruppenseminaren erfährt Mensch, wie Hund tickt. Gerade eben fühlt Benno sich sehr sicher – zuhause auf dem Sofakissen. „Richtig, jeder Hund braucht ein Kopfkissen“, sagt Ulrike Gieser lachend. „Das sollte man gesetzlich verankern.“ Im neuen Hundegesetz, an dessen Entwurf sie beratend mitgearbeitet hat, hat sie das dann doch nicht untergebracht.

An Bennos Therapie-Ende gibt’s die Rechnung für die Besitzer: 352,11 Euro. Ulrike Gieser hält ihrem Patienten das Papier vor die Schnauze: „Da, Hund, hast du den Betrag gesehen? Ich hoffe, du hast ein schlechtes Gewissen.“

Sie sind Hundehalter und wollen wissen, wie Ihr Hausgenosse denkt, wie er endlich auf Sie hört, wie er vom Wolf zum Lämmchen wird? Tierverhaltenstherapeutin Ulrike Gieser und ihre Kollegin Elena Kaschubat erklären es – in sechs Seminaren. Die gibt’s während unserer neuen Serie „Berlin bellt“ zum Sonderpreis. Morgen, Sonntag, erfahren Sie mehr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false