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Berlin: „Die Justiz war schon schlank, jetzt soll sie ausgehungert werden“

Vera Junker glaubt, dass die Stadt unsicherer wird, wenn Gerichte weiter sparen müssen. Die großen Strafsachen bleiben jetzt schon liegen

DAS SAGEN DIE BETROFFENEN

Frau Junker, Sie sehen wütend aus.

Es ärgert mich maßlos, dass Finanzsenator Sarrazin immer wieder diese Zahlen benutzt, um zu beweisen, dass sich die Justiz angeblich zu viel Personal leistet. Der Anknüpfungspunkt mit den pro 1000 Einwohnern im Vergleich zum Bundesdurchschnitt ist doch völliger Blödsinn. Das ist eine Nullaussage und bewusste Irreführung der Öffentlichkeit.

Wie sähe Ihre Statistik aus?

Der Anknüpfungspunkt muss natürlich sein: Wie viele Verfahren haben wir im Vergleich? Wie viele Verbrechen? In Berlin gibt es nun einmal mehr Straftäter als in Bayern. Wir haben im Vergleich zu anderen Gegenden pro Kopf bis zu 50 Prozent mehr Straftaten. Sarrazins Vergleiche sind unseriös.

Den Vergleich mit Hamburg lassen Sie auch nicht gelten?

Hamburg ist noch am ehesten mit Berlin vergleichbar. Nur ist in Hamburg bekanntlich wegen der Justiz bereits eine Regierung gestürzt. Man kann sich natürlich immer einen aussuchen, der noch weniger hat als Berlin. Nur muss man sich fragen: Läuft es denn da? Und in Hamburg läuft es definitiv nicht.

Wie läuft es denn derzeit für die Berliner Staatsanwälte?

Die neueste Studie, die alle Bundesländer untersucht hat, kam zu dem Schluss, dass die deutschen Staatsanwaltschaften zu 19 Prozent unterbesetzt sind. Jeder, der sich in letzten Jahren mit den Zahlen beschäftigt hat, kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Außer Finanzsenator Sarrazin, der zeigt sich völlig argumentationsresistent.

Also kann auch bei Ihnen überhaupt nicht gespart werden?

Die Justiz war schon immer schlank, jetzt soll sie offenbar ausgehungert werden. Das Schlimme ist, dass der Bevölkerung suggeriert wird, dass auch bei weiteren Einsparungen der Standard gehalten werden kann. Das ist aber falsch. Es wird in unserer Stadt unsicherer werden, ganz klar. Das sage ich ganz leidenschaftslos. Aber vielleicht muss es ja erst so weit kommen bis man es in der Finanzverwaltung kapiert.

Zur Zeit können wir uns noch sicher fühlen?

Wir schieben schon jetzt einen Berg von rund 25 500 unerledigten Verfahren vor uns her. Weil die Staatsanwälte ständig versuchen, die Akten vom Tisch zu bekommen, erledigt man erst die einfachen Fälle. Die komplizierten bleiben liegen. Zu den komplizierten Verfahren gehören beispielsweise Fälle der Bandenkriminalität. Mit vielen Taten und vielen Opfern. Das sind also leider die Fälle mit den größten Schäden, die liegen bleiben. Das ist das Problem.

Was tun Sie dagegen?

Wir haben neulich eine Umfrage gemacht, an der sich rund zwei Drittel der Kollegen beteiligt haben. Danach machen über 70 Prozent der Staatsanwälte Überstunden, um ihrer Arbeit wenigstens halbwegs Herr zu werden. Rund 60 Prozent der Ankläger häufen jede Woche bis zu zehn Überstunden an. Bezahlt bekommen sie sie natürlich nicht.

Das Gespräch führte Katja Füchsel

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