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Berlin: Die Karriere beginnt in der Grundschule

Die Nachfrage nach bilingualen und internationalen Angeboten steigt. Doch immer mehr Bewerber werden abgelehnt und ziehen nun vor Gericht

Die Kiez-Grundschule vor der Tür entspricht immer weniger den Ansprüchen bildungsbewusster Eltern: Angesichts der Pisa-Diskussion und dem steigenden Druck auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt setzen sie alles daran, schon in der Vorklasse die Weiche in Richtung „Karriere“ zu stellen. Besonders hoch im Kurs stehen internationale und bilinguale Schulen. Doch diese Schulen mussten in diesem Jahr tausende Familien ablehnen, weil die Kapazitäten bei weitem nicht reichen. Jetzt sind die Gerichte am Zuge, bei denen die Eingaben der abgewiesenen Eltern gerade einen neuen Höchststand erreicht haben.

Allein der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf musste mehr als 1000 Absagen verschicken. Rund die Hälfte davon betrafen die besonders profilierten Grundschulen. Spitzenreiter bei den Anfragen sind die Vorklassen der staatlichen Internationalen Gesamtschule in der Pfalzburger Straße: Hier konkurrierten 280 Kinder um 72 Plätze. „Die Zahl der Widersprüche und Klagen nimmt zu“, sagt Lutz Hirschfeld vom bezirklichen Schulamt. Während er es 2002 mit 90 Widersprüchen zu tun hatte, sind es dieses Jahr bereits mehr als 200. Der Trend zum Klagen hat auch andere Bezirke bereits erfasst.

„Bislang liegen knapp 100 Anträge auf einstweilige Anordnung vor“, berichtet Uwe Wegener, zuständiger Richter am Verwaltungsgericht. Dies sind ein Drittel mehr als im Vorjahr. Um ihren Kindern einen Schulplatz zu sichern, schrecken einige Eltern nicht mal davor zurück, andere Bewerber anzuschwärzen. „Sie versuchen nachzuweisen, dass sie die Aufnahmekriterien besser erfüllen als die Konkurrenten“, sagt Wegener.

Besonders kompliziert sind diese Kriterien bei Schulen mit Spezialprofil, an denen Kinder aus ganz Berlin aufgenommen werden. So muss an den Europaschulen darauf geachtet werden, dass rund die Hälfte eines Jahrgangs aus Kindern besteht, die die jeweilige „Partnersprache“, also Französisch, Englisch oder Polnisch, als Muttersprache haben.

Noch schwieriger gestaltet sich die Situation bei der Internationalen Gesamtschule. Hier sind nur 25 Prozent der Plätze für Kinder reserviert, die in Berlin ihren dauerhaften Wohnsitz haben. Die übrigen Kapazitäten gehen an „hochmobile Familien“. An oberster Stelle stehen Angehörige des Auswärtigen Amtes. Dahinter kommen Mitglieder der diplomatischen Vertretungen, der Universitäten und Beschäftigte von internationalen Unternehmen oder Medien. Praktisch bedeutet dies, dass dieses Jahr nur sieben deutschsprachige, nicht mobile Berliner einen Vorschulplatz bekamen. Laut Bezirksamt handelt es sich dabei um Kinder, für die die Eltern – etwa wegen Berufstätigkeit – einen ganztätigen Betreuungsbedarf nachweisen konnten und die zudem glaubhaft machen konnten, dass ihre Kinder an der Schule bereits einen Freund haben. „Uns bleibt nur, an den Senat zu appellieren, mehr derartige Schulen einzurichten“, resümiert ein frustrierter Kreuzberger Hochschuldozent, der sich nicht mit seiner wohnortnahen „Kiezschule“ abfinden will.

Zwar hat das Bezirksamt als Reaktion auf die große Nachfrage statt drei sogar vier Vorklassen an der Internationalen Gesamtschule aufgemacht und zudem die Schülerzahl pro Gruppe von 16 auf 18 angehoben. Aber mehr als 200 Familien hatten dennoch das Nachsehen und etliche versuchen, über den Rechtsweg noch einen der begehrten Plätze zu ergattern. Was ihren Ärger verstärkt, ist die Tatsache, dass sie erst um den 20. Juni ihre Absagen erhielten – zu einem Zeitpunkt also, an dem auch bei anderen Schulen keine Plätze mehr frei waren.

Doch nicht überall mussten die Eltern so lange auf eine Antwort des Bezirks warten. „Wir haben die Absagen schon vor Monaten verschickt“, berichtet Erik Schrader (FDP), Schulstadtrat von Zehlendorf-Steglitz. Dadurch hätten die meisten Familien noch adäquate Alternativen finden können, sodass wohl nur drei Eltern vor Gericht gehen. An der bilingualen Quentin-Blake-Europaschule gab es allein für die Vorklasse 154 Bewerber, die um 24 Plätze konkurrierten.

„Das Thema Bildung wird für die Familien immer wichtiger. Deshalb werden sie schon bei der Wahl der Grundschule immer wählerischer“, begründet Schrader die Nachfrage. Er appelliert an den Senat, auf die Wünsche der Eltern Rücksicht zu nehmen und im staatlichen Bildungssystem „mehr Leuchttürme“ zuzulassen. „Die Eltern erwarten von den Schulen ein Profil. Das muss man ihnen bieten“, fordert Erziehungswissenschaftler und FU-Präsident Dieter Lenzen. Zudem sei vielen Familien klar geworden, dass die Zukunft ihrer Kinder nicht unbedingt in Deutschland liege, weshalb sie verstärkt auf englischsprachige Schulen Wert legten. „Wenn das Land diesen Bedarf nicht decken kann, muss es zumindest die Privatschulen besser fördern“, meint Lenzen.

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