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Berlin: Die Kathedrale des Rechts

Von den Gebrüdern Sass bis zu den Sürücüs – in Moabit standen sie alle vor dem Richter. Das Gebäude birgt viele Geheimnisse

Er war 17 – und kam sich unendlich klein vor. Fassungslosigkeit ergriff den jungen Gerhard Jungfer, als er die Eingangshalle des Kriminalgerichts Moabit hinaufblickte, Furcht kroch ihm durch die Glieder. „Das Gefühl, du hast keine Chance“, sagt Jungfer, habe er bis heute nicht vergessen. Dabei hatte er Schlimmes nicht zu befürchten, war damals nur wegen einer kleinen Rüpelei auf dem Fahrrad vor den Richter zitiert worden. Jungfer stellte sich der Angst, auf seine Art: Er wurde Strafverteidiger in Moabit und ein angesehener dazu. Jungfer selbst interpretiert das so: „Es musste sich ein Weg finden, in diesen Hallen zu bestehen.“

Rund 30 Meter hoch ist die Eingangshalle des Kriminalgerichts. Sie solltedas Volk von des Gesetzes Strenge überzeugen. Foto: Rückeis Einen gibt es, den diese Anekdote sicher ganz besonders erfreuen würde: Kaiser Wilhelm II. Vor genau 100 Jahren, am 17. April 1906, ließ dieser an der Turmstraße Eröffnung feiern für seinen neuen Justizpalast – mit einer Eingangshalle, 29 Meter hoch, 27 Meter breit, mit ausladenden Treppen wie in Barockschlössern. Wilhelm II. wollte seine Untertanen mit der monumentalen Justizburg einschüchtern, doch der Plan ging nur zur Hälfte auf: Wirken tut’s nur bei den ohnehin Gerechten, die anderen schauen beim zweiten Mal schon kaum mehr hin.

Eine der ersten Akten stammt aus dem Jahr 1906. Auf dem Einband steht „Wilhelm Voigt“: Das neue Kriminalgericht war gerade eingeweiht, da verurteilte hier ein Richter den „Hauptmann von Köpenick“ zu vier Jahren Haft. Seither schrieben viele Angeklagte die Geschichte des Kriminalgerichts fort. Die Gebrüder Sass standen hier beispielsweise vor Gericht, der Rechtsanwalt Horst Mahler, Boxer Bubi Scholz, Topterrorist Johannes Weinrich, Stasi-Chef Erich Mielke, Kaufhauserpresser Arno Funke, Schauspieler Klaus Löwitsch, die Brüder Sürücü…

Der Königliche Baurat Vohl machte es in Moabit vor, andere Städte haben die besten seiner Ideen seitdem abgekupfert. Als besonders bemerkenswert – und bis heute vorbildlich – gilt die Lösung, die er für die Gefangenen einerseits und die Zuhörer andererseits erdacht hatte: Für die gefährlichen Kandidaten gibt es im „Moloch Moabit“ ein verzweigtes System von unterirdischen Gängen und Treppenhäusern. Während sich oben die Besucher auf den düsteren Gängen verirren, sind unten die geheimen Flure den Wachtmeistern und Gefangenen vorbehalten. Sie führen vom Untersuchungsgefängnis Moabit durch die Katakomben direkt auf die Anklagebank – und wieder zurück.

Heute wartet auf manchen Verurteilten am Ende des Flurs eine lebenslange Freiheitsstrafe, früher wartete auf sie der Tod. Die letzte Hinrichtung mit der Guillotine erfolgte im damaligen Zellengefängnis Lehrter Straße wenige Tage vor Inkrafttreten des Grundgesetzes am 11. Mai 1949. Der letzte Hingerichtete war ein 23-jähriger Schlosser, der eine 60-jährige Frau wegen eines Sackes Kartoffeln überfallen und getötet hatte. Die Guillotine existiert übrigens heute noch. Demontiert und in Kisten verpackt, soll sie im Keller des Untersuchungsgefängnisses Moabit stehen.

Aber auch die separaten Treppenhäuser für das Prozesspublikum haben den Ruhm von Baurat Vohl gemehrt. So gelangt man vom Portal 5 an der Turmstraße direkt durch einen solchen Aufgang in die Zuhörerräume der Schwurgerichtssäle 500 und 700. Muss ein Saal geräumt werden, können die Wachtmeister die „Störer“ unmittelbar auf die Straße befördern. Den „700er“ hat man zum Hochsicherheitstrakt umgebaut: mit Extraeingangsschleusen, Panzerglasboxen, schusssicheren Fenstern… Doch nicht alle, die hier auf der Anklagebank sitzen, gelten als gemeingefährlich. Im vergangenen Jahr begann hier beispielsweise auch der Prozess gegen den ehemaligen CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky und ein Dutzend anderer Bankmanager.

In die geheimen Gänge haben Landowsky & Co. noch keinen Schritt gesetzt, auch die „Zwischenzelle“ blieb ihnen erspart. Es ist ein kleiner, vergitterter Raum, der gleich hinter dem Gerichtssaal liegt. „Hier kommen die Angeklagten während der kurzen Pausen rein“, sagt ein Wachtmeister. „Oder zum Abkühlen: wenn sie in der Verhandlung ausgerastet sind.“ Die Wände sind bemalt, doch die Unterschrift Wilhelm Voigts sucht man in der kargen Zelle vergebens, auch Bürstenbinder Max Klante und die Zehlendorfer Tunnelgangster griffen nicht zum Stift. Man vermutet an den Wänden vielleicht von Schuld und Sühne, Reue oder Hass zu lesen – stattdessen grüßt Klaus mit einem „Hossa!“. Daneben steht „Michi loves Maria“ und „Krüger war hier“.

Zum Jubiläum des Kriminalgerichts Moabit hat Alois Wosnitzka die Festschrift „Das Neue Kriminalgericht in Moabit“ herausgegeben. Darin findet sich auch ein ausführliche Darstellung der Berliner Prozessgeschichte von Georg Schertz. Im Handel erhältlich ab 27. April, 25 Euro.

Von außen ein Anblick wie ein düsteres Schloss mit gewaltigen Türmen und einer mehr als 200 Meter langen Straßenfront. 1906 war der Bau eine Sensation. Im Inneren hat man das beeindruckende Treppenhaus mit allegorischem Figurenschmuck ausgestattet.

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