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Berlin: Die Kennedys von Berlin

Bei der neuen Mendelssohn-Schau begegnen wir den Höhen und Tiefen unserer Geschichte.

Der Anstoß, für die Familie Mendelssohn eine Ausstellung auf einem Friedhof zu realisieren, kommt von Theodor Fontane. Genau genommen von der Fontane-Gedenkstätte auf dem Französischen Friedhof. Bei der Einweihung eines ihm gewidmeten Erinnerungsortes vor drei Jahren entstand die Idee: Wie wäre es, so etwas ähnlich am Halleschen Tor zum Thema Mendelssohn einzurichten? Dort liegen auf den Friedhöfen der Gemeinden Dreifaltigkeit und Jerusalem/Neue Kirche 28 getaufte Nachkommen des jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn und ihre Ehepartner begraben. Es sind Berühmtheiten darunter wie die Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy und Fanny Hensel, auch Persönlichkeiten wie der Wirtschaftsführer Franz von Mendelssohn oder der Gründer der später in den IG Farben aufgegangenen Agfa, ein Sohn des Komponisten. Manche haben Ehrengräber bekommen. Die Familie Mendelssohn war über viele Generationen so erfolgreich und anerkannt, dass ich sie gerne die Kennedys von Berlin nenne.

Bankiers, Künstler und Gelehrte aus dieser Familie haben über mehr als fünf Generationen die deutsch-jüdische Geschichte beeinflusst. Es gab bewegende konfessionelle und private Zerreißproben bei den Mendelssohns, wie in den besten Familien. Außerdem sind am Halleschen Tor einige von ihnen begraben, die im „Dritten Reich“ dramatische Schicksale erlebt haben, die sich arrangieren konnten, die gegen Lösegeld emigrieren durften, auch ein Familienmitglied, das vor der Deportation in den Selbstmord geflohen ist. Wer den individuellen Geschichten nachgeht, die hinter diesen Grabsteinen stehen, begegnet den Höhen und Tiefen unserer Geschichte.

Die Ausstellung, die morgen eröffnet wird, soll diese Begegnung ermöglichen. Sie ist mit Mitteln der Lotto-Stiftung und des Evangelischen Friedhofsverbandes in einer ehemaligen, zuletzt als Rumpelkammer genutzten Kapelle auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof entstanden. Sie dreht sich nicht nur um Personen, die im Umfeld begraben sind, es entsteht ein Überblick zur ganzen Familie. An einer zehn mal vier Meter großen Wand gibt es einen Stammbaum über sieben Generationen, da wird einem schwindelig. An der ehemaligen Altarwand prangen Reproduktionen von romantischen und modernen Künstlern, die Nachkommen Moses Mendelssohns waren oder in die Familie eingeheiratet haben. Auf 26 erleuchteten Textfoto-Tafeln werden Kurzbiografien präsentiert, auf 24 weiteren thematische Einblicke in Einflussbereiche der Familie: Wirtschaft, Politik, Kunst, Mäzenatentum, Literatur, Musik, Religion und Philosophie. Mehr als 300 Abbildungen gehören zu dieser Schau, viele Porträts und Dokumente sind erstmals zu sehen, ein Großteil von Mitgliedern der weltweit verstreuten Familie zur Verfügung gestellt.

„Familie“ ist denn auch ein Kernthema dieser Ausstellung: der bislang einzigen Dokumentation, die sich auf einem Friedhof mit diesem Phänomen befasst. An den Mendelssohns kann man staunend sehen, wie eine Verwandtschaft über Generationen zusammenhält, wie sie Schicksalsschläge und Zerreißproben besteht, wie sie Verantwortung übernimmt, untereinander und für andere. Ab dem 216. Todestag Felix Mendelssohn Bartholdys am 4. November soll die Ausstellung täglich geöffnet sein, nachdenklich machen, gute Laune verbreiten: Vor dem Halleschen Tor erschließt sie in einem Panorama deutscher Geschichte Biografien von Protagonisten, die versucht haben, ihre Welt zu gestalten.

Ausstellungseröffnung an diesem Sonntag. 13.30 Uhr: Wandelkonzert von vier Chören an vier Familiengräbern; 14.30 Uhr: Eröffnung im Zelt neben der Ausstellungskapelle. Ab Montag ist die Ausstellung täglich ab 8 Uhr während der Friedhofsöffnungszeiten zu besichtigen.

André Schmitz

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