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Berlin: Die Last mit der Schuld

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Der Umgang mit Schuld ist bekanntlich schwierig, aber hier soll nicht von der Moral die Rede sein, sondern von einer Begriffsverwirrung, die sich breitmacht, als seien wir mit den Ableitungen des Wortes Schuld (und anderer Wörter) überfordert. Es ist ein Unterschied, ob man ein Übel verschuldet hat oder verschuldet ist, ob man jemandem Geld oder ein gutes Wort schuldet. Die FDP-Fraktion des Abgeordnetenhauses forderte den Senat auf, für mehr Sicherheit der Patienten in den Krankenhäusern zu sorgen; ein Patient war drei Tage in einem Klinikfahrstuhl gefangen, ein anderer tot gefunden worden. In der Antragsbegründung las ich: „Wenngleich alle Mitarbeiter immer bemüht sind, höchste Standards zu setzen und beste Leistungen im Sinne der Patienten zu erbringen, kommt es leider immer wieder zu suboptimalen Behandlungsverläufen und Todesfällen, die menschlichem oder organisatorischem Versagen geschuldet sind.“

Na das ist ja heiter. Der umständlich formulierte Satz liest sich am Ende so, als sei dem Versagen auch noch Anerkennung geschuldet. Das wäre natürlich blühender Blödsinn. Ach, es ist nicht so gemeint, nur verkorkst ausgedrückt. Also wer schuldet wem was? Den Patienten ist die Fürsorge geschuldet, aber die traurigen Vorfälle sind verschuldet worden, von wem und wodurch auch immer.

Direkt makaber wirkten neulich folgende Sätze in einem Zeitungskommentar: „Brecht, ja, hat schreckliche Irrtümer begangen, was Stalin betrifft. Gewiss war das Hitler geschuldet, das ’Lob des Kommunismus’.“ Nein, gewiss nicht, wirklich nicht. Bertolt Brecht hatte bestimmt nicht das Empfinden, dass er moralisch in Hitlers Schuld stand. Vermutlich wollte uns der Kommentator nahe bringen, dass die Aversion gegen die Nazis Brecht zum Kommunismus getrieben und er dabei Stalin verkannt habe. Man sieht: In der Kürze liegt nicht immer die Würze.

Was schulde ich Ihnen?, fragt der Kunde, der bezahlen will. Geldschulden werden getilgt. Straftäter müssen für ihre Schuld büßen. Manch einer quält sich mit Schuldgefühlen, weil er meint, seine Pflicht und Schuldigkeit nicht getan zu haben. Im Sinne einer Verpflichtung versichern Politiker gern, was sie dem Volk alles schuldig sind. Die Reformen sind unserer Zukunft geschuldet und die Sparpolitik der Staatsverschuldung. Im sittlichen Sinne schulden wir anderen Respekt, Anerkennung, Hilfe, Dank oder einfach die Antwort auf eine Frage. Zu all dem, was wir den Kindern schulden, gehört, dass wir ihnen Sprachgefühl durch verständliches, gutes Deutsch vermitteln. Im alten Scherzlied steckt eine Volksweisheit: Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen.

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