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Berlin: Die Lehrerin Ursula Mörs gedenkt zweier Schüler, die an der Mauer erschossen wurden

Es ist ein ergreifender Moment, als die ehemalige Lehrerin Ursula Mörs ans Mikrofon tritt und über ihren Schüler spricht, der vor 33 Jahren an der Mauer erschossen wurde. Sie ist zum ersten Mal in diesem Teil der Kiefholzstraße, in der einst der Todesstreifen verlief.

Es ist ein ergreifender Moment, als die ehemalige Lehrerin Ursula Mörs ans Mikrofon tritt und über ihren Schüler spricht, der vor 33 Jahren an der Mauer erschossen wurde. Sie ist zum ersten Mal in diesem Teil der Kiefholzstraße, in der einst der Todesstreifen verlief. Und sie kann es auch nach den vielen Jahren noch nicht fassen, dass so etwas möglich war. Am 14. April 1966 wurden genau an dieser Stelle der zehnjährige Jörg Hartmann und der drei Jahre ältere Lothar Schleusener erschossen. 15 Menschen verloren insgesamt an dem 13 Kilometer langen Treptower Todesstreifen ihr Leben.

Als die Bezirksverordneten vor zwei Jahren erfuhren, dass darunter auch diese zwei Kinder waren, fassten sie den Beschluss, ein Mahnmal für die Maueropfer zu errichten. Gestern wurde die Metallskulptur der Bohnsdorfer Künstler Rüdiger Roehl und Jan Skuin eingeweiht. Sie besteht aus einem 3,60 Meter hohen, dunkelgrünen Mauerstück und einem zweiten, kleineren Teil, aus dem die Silhouette einer kindlichen Figur gestanzt wurde. Mehrere Einschusslöcher und eine Inschrift machen auf die dramatischen Ereignisse aufmerksam.

Für Ursula Mörs, die selbst 5000 Mark für das Denkmal gespendet hat, ist es eine gelungene Arbeit. "Ich freue mich, dass endlich der Opfer gedacht wird und damit auch für mich die Sache abgeschlossen ist", sagt die 63-Jährige nachdenklich. Sie wollte die tragische Geschichte ihres einstigen Schülers immer öffentlich machen, doch erst nachdem sie von dem Treptower Mahnmal-Projekt erfahren hatte, meldete sie sich beim Bezirksamt und bot ihre Hilfe an. In den vergangenen 33 Jahren bewahrte sie einen Zettel auf, der die letzten Zensuren von Jörg Hartmann enthielt und eine Beschreibung ihres ersten Besuches bei seiner Großmutter. Das war am 17. März 1966, drei Tage nachdem der schmächtige, blonde Junge nicht mehr in der Friedrichshainer Schule erschienen war. Frau Mörs, die damals noch Ursula Limberg hieß, konnte sich das Fernbleiben ihres Schülers nicht erklären. "Das passte nicht zu ihm, er war kein Schwänzer", sagt sie.

Und deshalb wollte sie sich bei Jörgs Oma erkundigen, die den Jungen mit seinen beiden Geschwistern aufzog, wo er abgeblieben sei. Aber dort wusste niemand etwas, und auch die Vermisstenanzeige der Großmutter blieb ergebnislos. Von anderen Kindern erfuhr sie, dass der Zehnjährige zu seinem Vater nach West-Berlin "abhauen" wollte. Als ihr dann noch jemand von einer Meldung des Rias erzählte, der am 15. März 1966 über zwei an der Mauer erschossene Kinder berichtete, "ahnte ich Schreckliches", beschreibt sie heute ihre Gefühle.

Die Beschreibung passte so exakt auf Jörg, dass Ursula Mörs keine Zweifel mehr hatte: Ihr Schüler wurde an der Mauer erschossen. Doch diese Wahrheit wurde damals von den DDR-Behörden vertuscht. Offiziell hieß es: Jörg sei ertrunken und Lothar durch einen Stromschlag ums Leben gekommen. Als ihr der Direktor der Schule dann noch untersagte, ihre Version zu verbreiten, stand für die damalige SED-Genossin fest, dass sie in diesem Land nicht mehr leben konnte. Mit ihrem Sohn und ihrem Freund flüchtete sie über Bulgarien in den Westen.

Die Kinder, die in der Abenddämmerung den ersten Grenzzaun überwunden hatten, sind damals blindlings erschossen worden. Aus zwei Richtungen feuerten die Grenzposten mit Maschinenpistolen, als sie einen Schatten entdeckten. Der 13jährige war nach zwei Kopfschüssen sofort tot, der Zehnjährige starb im Krankenhaus. Einer der Grenzer weinte immerhin, als er sah, dass sie Kinder auf dem Gewissen hatten. Auch ein Zweiter, der 20 Minuten neben der Trage mit dem röchelnden Kind stehen musste, zeigte später seine Betroffenheit, als er vernommen wurde.

Die Leichen der Kinder wurden sofort eingeäschert. Um die Lüge zu stützen, dass Lothar Schleusener nahe Leipzig an einem Stromschlag gestorben sei, ließ die Staatssicherheit eine Sterbeurkunde des Standesamtes Leipzig total fälschen. Die Schützen erhielten die üblichen Ehrungen.

Ermittler stießen nach der Vereinigung in Krematoriumslisten auf die Namen der getöteten beiden Kinder. Im November 1997 begann vor dem Landgericht der Prozess gegen einen der Schützen, der später als Lehrer arbeitete. Siegfried B. wurde zu einem Jahr und acht Monaten Strafe verurteilt, auf Bewährung.

Steffi Bey

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