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Berlin: Die Leviten lesen

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Neuerdings scheint kaum noch ein Politiker ohne klare Ansage auszukommen, so dass wir es mit klaren Ansagen am laufenden Band zu tun haben. Ob einer schlicht etwas mitteilt, seine Meinung oder Wünsche äußert, sein Missfallen bekundet, eine Mahnung oder eine Warnung ausspricht, er meldet sich prompt mit einer klaren Ansage zu Wort. Das klingt so entschlossen.

In Sachsen hat die CDU Ärger mit ihrem Bundestagsabgeordneten Henry Nitzsche, der mit Äußerungen, die sich nach rechtsextremen Parolen anhörten, Empörung auslöste. „Er bekam von mir eine klare Ansage“, sagte der sächsische CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer, „das hat sich nicht zu wiederholen“. Im Berliner Abgeordnetenhaus gab neulich jemand die „klare Ansage“ von sich, dass die Solidarität der Bundesländer mit der Hauptstadt notwendig sei.

Wie die Beispiele zeigen, hört sich die klare Ansage ziemlich rigoros an, als gelte in der Politik das Prinzip Befehl und Gehorsam. Dabei geht es natürlich gar nicht autoritär zu, und einen entschlossenen Eindruck machen die meisten Politiker auch nicht.

Früher versuchte man andere zu überzeugen, redete Abweichlern ins Gewissen, hielt Sündern eine Strafpredigt, Gardinenpredigt, Standpauke, Philippika oder las ihnen die Leviten.

Jetzt drückt man sich nicht mehr so virtuos aus, sondern begnügt sich mit der eintönig klaren Ansage, Ende der Durchsage. Farbige Wendungen, deren Herkunft uns nicht mehr vertraut ist, verblassen eben.

Wer weiß schon noch, was es mit der Philippika und dem Leviten lesen auf sich hat? Man muss ja in der griechischen Antike oder in frühmittelalterlichen Bräuchen von Mönchsorden graben.

Also die Philippika ist eine leidenschaftliche Strafrede in Erinnerung an die Kampfreden des Demosthenes gegen König Philipp von Makedonien im vierten vorchristlichen Jahrhundert, lange her.

Wer jemandem die Leviten liest, tadelt ihn streng und weist ihn nachdrücklich auf seine Pflichten hin. Er liest ihm, bildlich gesprochen, aus den Verhaltensmaßregeln vor, wie es bei Andachts- und Bußübungen der Benediktiner geschah. Dabei wurden Texte aus der Bibel gelesen, meist aus dem 3. Buch Mose, das Vorschriften für Priester (Leviten) enthält.

Die Ansage ist nichts als eine Ankündigung, eine Bekanntgabe, zum Beispiel zu Beginn einer Veranstaltung oder Rundfunksendung. Mir fallen bei diesem Wort immer die Zugansagen auf dem Bahnhof und die Ansagen der Telefonauskunft ein. Der klaren Ansage in der politischen Auseinandersetzung sollte man eigentlich eine Absage erteilen. Doch sie wird sicher von selbst ebenso rasch wieder verschwinden wie sie in die Welt gesetzt wurde. So ist das mit modischen Erscheinungen.

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