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Berlin: Die Liebe des Rheinländers zu kleinen Rotznasen

Friedel Drautzburg hat wieder einen Grund zum Feiern: Seine Ständige Vertretung wird fünf Jahre alt

Ist das wirklich schon fünf Jahre her?

„Hier spricht die Stimme der Vernunft“, pflegte sich Friedel Drautzburg damals am Telefon zu melden. Den Ehrentitel „Stimme der Vernunft“ hatte sich der Bonner Prominentenwirt als Mitbegründer und Motor der Initiative „Ja zu Bonn“ verdient. Jahrelang kämpfte er gegen den Regierungsumzug nach Berlin. Und nun. Nun schlug der Rhein heftige Wellen des Widerwillens, nachdem bekannt geworden war, dass Friedel eine Dependance an der Spree eröffnen wollte. Ausgerechnet. Im Feindesland. „Hochverräter“ nannte man ihn.

Am Telefon klang er ganz freundlich. „Kommse ruhig nach Bonn, kriegense wenigstens mal was Ordentliches zu essen“, beschied er die Reporterin, die ihn kennen lernen wollte. Es gab dann Himmel und Äad im Haus Daufenbach. Auf der Terrasse propere Bonner, im Keller kämpferische Plakate: „Den Umzug können wir uns nicht leisten.“

Drautzburg wirkte live weniger kauzig als am Telefon, gab sich rasch als Alt-Linker zu erkennen, der mit Günter Grass Wahlkampf für Willy (Brandt) gemacht hatte. nsbombardement war eine seiner Spezialitäten. Aber nur zu verstehen von Leuten, die Politikern in einer Ruhmeshalle die Spitzenplätze geben würden. Was wusste er alles zu erzählen über Völkerchen Hauff und die Matthäus-Meier. Friedel war stolz darauf, dass er vier Zeitungen täglich las und schon freitags wusste, was montags im Spiegel stehen würde. Darauf wollte er auf keinen Fall verzichten. Und einige Stammgäste wollten auf ihn nicht verzichten, deshalb hatten sie den Vorschlag mit der Berliner Dependance gemacht. Damals glaubten allerdings auch viele Berliner nicht mehr daran, dass der Umzug tatsächlich stattfinden würde. Nachmittags tranken wir Kaffee in seinem zweiten Restaurant, dem idyllischen Amadeus mit friedlichster Vorstadt-Atmosphäre. Wenn jemand vorausgesagt hätte, wie sich die Dinge entwickeln würden, hätte er wie ein kitschversessener Phantast da gestanden.

Ein Meer von Tränen

Als Student hatte er in Berlin studiert, war kurz nach dem Mauerbau mit einer Isetta gelandet, aber nach zwei Jahren wieder losgedüst. 68 hat er in Bonn seine erste Kneipe aufgemacht, und was da nächtens bei serbischer Bohnensuppe diskutiert wurde ...

Sind ja, wie man in Friedels ureigenstem Politmilieu sieht, doch alle groß und vernünftig geworden. Im Juni 1990 aß man im eleganten Amadeus lieber Tranchen von der Entenbrust als serbische Bohnensuppe. Nur nicht am 20. Juni 1991. Da fieberten sie alle gemeinsam vorm Fernseher. Am Ende gab es ein Meer von Tränen und als Trost die Hoffnung, dass es mit dem Bekenntnis „Ja zu Bonn“ vielleicht doch noch zu verhindern sein werde. Sieben Jahre später dann das nackte Entsetzen über Friedels Pläne.

Während die Amadeus-Familie an jenem warmen Sommerabend vor fünf Jahren bei gepflegten Saltimbocca die Schwernisse der Zeit zu vergessen trachtete, landete das Flugzeug aus Bonn wieder in Tegel. Von da ging’s schnurstracks zum Osvaldo, einer Kneipe Ecke Albrechtstraße und Schiffbauerdamm, in der Friedel seine Ständige Vertretung eröffnen wollte. Nach dem freundlichen Bonner Nachmittag war das ein echter Absturz. Auf der Straße hatten junge Russen einen Haufen blutiger Knochen ausgekippt und kommandierten ihre Hunde herbei. Im Osvaldo gab es sonst keinen einzigen Gast. En face des heruntergekommenen Hauses auf der anderen Straßenseite: in dieser menschenverlassenen Gegend wollte auch ein schnelles Glas Rotwein nicht schmecken.

Zwei Jahre später tobte hier der Bär. Politiker kamen, viele heimwehkranke Rheinländer, aber eben auch Touristen. Das Essen war okay, aber nicht doll, am besten noch die Flammkuchen. Natürlich gab es auch Himmel und Äad. Rut Brandt feierte hier Geburtstag, und der Bundespräsident traf sich mit dem Kanzler zum Bier. Inzwischen hieß die Gegend Rheinisches Viertel, jedenfalls inoffiziell, dafür hatte Friedel mit seinem urgewaltigen PR-Talent gesorgt. Die Aktion, Karneval mit Kopfhörern zu feiern, um den muffeligen Anwohnern Paroli zu bieten, hatte ihm Lacher und Beifall im ganzen Land eingebracht. Außerdem hörte das Telefon nicht auf zu klingeln, weil Friedel Drautzburg inzwischen für alle Fragen, die mit dem Einleben der Bonner zu tun hatten, ein gesuchter Gesprächspartner war. Berlin hatte ihm den jahrelangen Kampf nicht übel genommen. Auch in Bonn verzieh man ihm. Fortan galt er als Botschafter rheinischer Lebensart. Er dozierte über die Schrecken der Berliner Bürokratie mit der gleichen Verve wie über die Rüpelhaftigkeit und die modischen Schwächen der Stadt, die im Sommer mehr Kurzbehoste hervorbringt als es dem empfindlichen Ästheten Friedel gut tut.

Bald schuf er sich mehrere Überlaufbecken für die StäV, das Piccolo mit anspruchsvollerem Essen und gediegenem Ambiente, die WeinBotschaft und, direkt gegenüber, in dem einst so verfallenen Haus, den „Kölschen Römer“ mit schlichten italienischen Gerichten für Leute, die an Gesprächen interessierter sind als an Gaumenfreuden. Es folgten Lizenzvergaben für Ständige Vertretungen in Hannover und Hamburg, die ähnlich gut laufen.

Der geschäftliche und gesellschaftliche Erfolg war aber nicht das Wichtigste. Das Wichtigste war, dass Friedel Drautzburg im Alter von 60 Jahren zum ersten Mal Vater wurde. Vater einer kleinen Berlinerin. Gefunkt hatte es im ICE zwischen Köln und Berlin, „ungefähr in der Höhe von Magdeburg“, als sich „Bonns begehrtester Junggeselle“ unbedingt an einen Zweiertisch setzen wollte, der indes schon von einer jungen Brandenburgerin besetzt war. Erst reagierte sie genervt. Als der Zug in Berlin eintraf, stand die erste Verabredung. Es war ein Bild für die Umzugsgötter als Friedel, nunmehr frisch gebacken Vater, etwa zwei Jahre nach der Eröffnung der StäV den Kinderwagen mit seiner „kleinen Rotznase“, auch Sophie Marie geheißen, durch sein Viertel schob und noch philosophischer redete als ohnehin schon. Noch drei weitere Jahre später hat Sophie Marie offenbar gelernt, sich zu wehren. Ganz verklärt vor Glück spricht der an Worten niemals arme Vater stolz: „Die quasselt mich tot“.

So zeigte das Leben der im Ruhestand befindlichen „Stimme der Vernunft“, was ein anständiges Happy Ending ist.

Gefeiert wird der Geburtstag der StäV mit Kölsch und Kölnern, Bonnern und Berlinern im Tränenpalast. Zugesagt haben 600 mehr als reinpassen. Elisabeth Binder

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