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Berlin: Die Masche mit den Häkelbäumen

Künstlerin versieht Stämme mit Überziehern

Eigentlich geht es ihr um die „Eitelkeit des großen Ganzen“, um einen „Auslöser für geistige Streifzüge“. Im Moment aber sehnt sich Elisabeth Thiessen bloß nach einer Tasse heißem Kaffee. Der Wind lässt sie frösteln und zupft an den leuchtend grünen Häkelmaschen, die sie in ihren Händen hält. Diese Maschen sollen einen Baum in einen „Referenten des Unbehüteten“ verwandeln. Also muss der Kaffee warten. Mit steifen Fingern näht Thiessen ihre Häkelarbeit um den Baumstamm herum fest. Für die Kunst ist sie bereit zu frieren.

Thiessens Werk ist bis nächsten Sonnabend am Schiffbauerdamm, Ecke Adele- Schreiber-Krieger- Straße zu sehen. Insgesamt neun Baumstämme hüllt Thiessen hier in farbige Umhänge. Für jeden von ihnen häkelte sie 20 000 Maschen, dann verzierte sie das Ergebnis mit bunten Häkelblüten. Mehr als 400 Stunden Arbeit sind es, die der Regen nun langsam durchweicht. Der Titel des Werks: „little trees watch (the blind spot)“.

Durch die vielfache Wiederholung ein und desselben simplen Bewegungsablaufes verliere die Häkelarbeit ihre Unschuld, sagt Thiessen. Sie will das „Ungeschützte im Öffentlichen“ thematisieren. Eine Woche lang wird sie ihr Werk sich selbst überlassen. Erst dann wird sie zurückkehren und beobachten, was mit ihrer Kunst geschehen ist. Sie ist gespannt, ob Passanten Blüten abschneiden werden und ob die Acrylwolle dem Wetter standhalten wird.

Den Ort Schiffbauerdamm hat Thiessen bewusst gewählt. Die dekorierten Baumstämme, in grün, gelb, violett oder blau, stechen hervor zwischen der graublauen Spree und der grauen Wand des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses. Thiessen sagt, sie wolle Farbe in das „erstarrte“ System Politik tragen.

„Ich hätte die Zeit dafür nicht“, kommentiert ein Passant dieses Bemühen. „Von der Abfalltonne bis zum Fahrradständer – ständig wird in Berlin irgendwas umhäkelt oder umstrickt“, sagt er noch. Ein anderer Passant, freut sich hingegen über die Farbtupfer. „Das hat was.“. Andere Berliner hat die Kunst aufgeschreckt. Die Umhänge, die noch nicht an den Bäumen befestigt sind, stecken in einem Rucksack. Als Thiessen ihre Arbeit begann, ließ sie ihn einige Meter weiter liegen. Prompt kamen Polizisten und inspizierten den Sack. Sie mussten sichergehen: Er enthält nichts als Häkelwerk in knalligen Farben. Karin Christmann

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