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Berlin: „Die Mauer ist ein positives Symbol“

Kunsthistoriker Leo Schmidt rät Berlin, von den Touristen zu lernen

Herr Schmidt, geht die Berliner Politik richtig mit der Mauergeschichte der Stadt um?

Es gibt einen entscheidenden Fortschritt: Bis Ende der Neunzigerjahre wollte man nur abreißen und vergessen.

Seit wann ist das anders?

Seit 2001. Am 13. August hat der damalige Bausenator Peter Strieder gesagt, dass man die Mauer nicht vergessen darf – und meinte es auch am Tag darauf noch so. Er wollte eine vollständige Dokumentation der erhaltenen Mauerspuren, die gibt es inzwischen. Zudem hat Alexandra Hildebrandt mit ihrer gefälschten Mauer an der falschen Stelle die Diskussion befördert. Da hat auch das offizielle Berlin gemerkt, dass etwas getan werden muss. Zudem: Vor ein paar Jahren gab es zehn Orte, an denen Mauerreste denkmalgeschützt waren. Jetzt sind es 25 Orte.

Trotzdem wollte Mittes CDU-Bürgermeister Joachim Zeller ein Stück der Mauer am Nordbahnhof abreißen, um einen Fußballplatz bauen zu können.

Das ist nicht zu begreifen. Ich habe Zeller bis dahin als jemanden wahrgenommen, der gute Vorschläge einbrachte und erhalten wollte, was noch da ist. Dann kam der Abrissplan – für einen Bolzplatz. Jemand wie Zeller sollte schon wissen, wo er Prioritäten setzt. Gerade wenn man ein Gelände hat wie am Nordbahnhof – mit Todesstreifen und einer Grenzlandschaft, die emotional noch erfahrbar ist.

Genau das bestreitet Zeller.

Wann immer wir mit unseren ausländischen Studenten Seminare und Exkursionen zum Thema Mauer gemacht haben, dann waren die von dem Gebiet am Nordbahnhof am meisten fasziniert.

Warum?

Weil noch so viel da ist: die Grenzlandschaft am Kolonnenweg, Vorfeldsicherungen, lange Hinterlandmauer und die Grenzbefestigung an der Gartenstraße. Wenn man sich darauf einlässt, dann stellt sich dieses unheimliche Gefühl dafür ein, was es war, das da mitten durch die Stadt verlief. Für alle anderen ist die Mauer ein Haufen Schrott: krümelnder Beton, rostende Armierungen. Aber das ist ja gerade der irrsinnige Kontrast zwischen der Banalität der Reste und dem, wovon sie erzählen. Die Diskussion um den Mauerrest am Nordbahnhof verdeutlichen das grundlegende Berliner Problem: Nur Wenige können sich vorstellen, welche Bedeutung diese Mauerreste weltweit haben.

Wenn Touristen Mauerreste suchen, tun sie das meist am Checkpoint Charlie.

Es wäre hilfreich für die Debatte, sich auf die Sichtweise von Nicht-Berlinern einzulassen. Die Touristen suchen ein Symbol, das für Mauertote, für Leid, Trennung und Unterdrückung steht – aber eben auch für die Überwindung all dieses Irrsinns. Die Berliner dagegen sehen vor allem die Trennung, als habe es 1989 nicht gegeben. Man sollte lernen, die Mauer langsam auch als ein teilweise positives Symbol zu begreifen.

Wie soll das gehen?

Soweit ich weiß, hat noch niemand versucht zu analysieren, was Touristen erhoffen, über die Mauer zu erfahren. Ich bin sicher, man könnte den Kern dieser Ideen intelligent umsetzen und käme zu einem überzeugenderen Ergebnis, als wenn man platt rekonstruiert.

Was halten Sie von der Bernauer Straße als zentralem Ort eines Gesamtkonzepts für die Erinnerung an das SED-Regime?

Es ist der richtige Ort. Man kann dort sehr viel erleben, sehen und nachvollziehen. Mehr als anderswo in Berlin. Das kann aber nicht das Einzige sein. Man muss die Leute dort abholen, wo sie hinkommen. Insofern halte ich die Pläne mit dem Brandenburger Tor für gut. Am Checkpoint Charlie müsste man gut informieren. Das war bisher nie der Fall.

Bietet das Gedenkzentrum in der Bernauer Straße diese Information?

Dort ist sehr viel geboten. Aber ich wünschte mir noch mehr Information zur Mauer, zu ihrer Vorgeschichte und ihrer Bedeutung.

Was schlagen Sie vor?

Jene Darstellungsformen, die die Menschen überzeugen, müssen Ausstellungsprofis finden. Es wäre wichtig, einen guten Mix verschiedener Angebote zu haben, damit man die Grenzlandschaft erfährt und auch die nötigen Hintergründe. Das ist sehr, sehr schwierig.

Was halten Sie von den Plänen des Kultursenators – ein Museum des Kalten Krieges am Checkpoint Charlie?

Berlin und Umgebung waren geprägt vom Kalten Krieg. Aber man muss davor warnen, die Mauer mit dem Kalten Krieg zu erklären. Eine Tendenz, die ich in Reihen der ehemaligen SED und der PDS feststelle.Die Berliner Mauer ist Symbol des Kalten Krieges, aber nicht sein Produkt. Sie wurde 1961 gebaut, da gab es den Kalten Krieg schon 15 Jahre. Zudem gab es die Mauer, weil Ulbricht es wollte – nicht die Kommunistische Partei der Sowjetunion. Die Mauer ist also ein Produkt der verfehlten Politik der DDR. Mauerbau und Kalten Krieg zu eng zu verbinden, wäre ideologisch interpretiert.

Das Interview führte Marc Neller

Leo Schmidt, 52,

ist Professor für

Kunstgeschichte an der Technischen

Universität Cottbus.

Er hat für den Senat die noch existierenden Reste der Berliner Mauer dokumentiert.

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