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Berlin: „Die Menschen müssen nicht gebeugt herumlaufen“

Einen Monat nach der Eröffnung besuchte Peter Eisenman sein Holocaust-Mahnmal – und freut sich über die „fröhliche Atmosphäre“

Kinder lachen und spielen Fangen zwischen den Stelen, eine Mutter schiebt einen Kinderwagen durch das Feld, eine ältere Frau erklärt zwei Touristen auf Englisch, wie das war, als die Gestapo die Wohnung ihrer Eltern versiegelte. Ein normaler Vormittag im Holocaust-Mahnmal. Nicht für Peter Eisenman. Der Architekt geht zum ersten Mal durch das Stelenfeld, seit die Zäune abgebaut sind. Er ist überrascht – und begeistert. „Ich habe nicht gedacht, dass so viele Leute hierher kommen und dass eine so fröhliche Atmosphäre herrscht.“ Er habe befürchtet, dass die Besucher nicht wagen, in das Feld hineinzulaufen und am Rand vorbeigehen. „Es funktioniert, die Leute nehmen das Mahnmal an, so wie ich es mir gewünscht habe.“

Eisenman, beige Jeans, schwarzes Hemd, rote Jutetasche, lacht und läuft in das Feld hinein. Er fällt nicht auf, als er zwischen den Touristen zu seinen beiden Lieblingsstelen geht. Sie sind dort, wo der Untergrund seitlich abfällt, so dass man sich automatisch gegen die Stelen lehnt. Man soll sein Kunstwerk am besten mit dem ganzen Körper fühlen. Was genau man fühlt, ist ihm egal, er zwinge niemanden, an den Judenmord zu denken. Deshalb versteht er den Publizisten Henryk M. Broder nicht, der ihm im Tagesspiegel vorwarf, das Mahnmal sei zu suggestiv und „die Fortsetzung des Dritten Reichs mit den Mitteln der Bildhauerei“. Das Gegenteil sei der Fall: „Schauen Sie doch, wie die Kinder hier herumspringen“. Eben, sagen andere Kritiker, die denken doch gar nichts, das sei ja auch nicht richtig.

„Die Menschen müssen doch nicht immer gebeugt herumlaufen, wenn es um den Holocaust geht“, sagt Eisenman und lehnt sich an den Beton. Wenn man sie zum Trauern zwinge, schüre das nur neuen Antisemitismus. Außerdem, dialektisch gesehen: Wer sage, er habe gar nicht an den Holocaust gedacht, als er durch den Stelenwald lief, habe ja doch daran gedacht, sonst würde er das ja nicht sagen. Wem die abstrakten Stelen nicht reichten, der könne in den Ort der Information gehen. 60 000 Menschen waren im ersten Monat in dem unterirdischen Museum. 1800 kommen pro Tag und warten bis zu einer Stunde, ehe sie eingelassen werden. Unten angekommen, bleiben sie im Schnitt 58 Minuten, hat eine Umfrage der Denkmalstiftung ergeben. „Der Ort der Information müsste größer sein“, gibt Eisenman zu, dann bräuchte man nicht so lange anstehen. Am Anfang wollte er das Museum gar nicht.

Der Architekt mag aber heute nicht nach unten gehen, er kann sich gar nicht satt sehen an den Schattierungen, die die Sonne auf die Stelen wirft, und wie Menschen für Sekunden in den Gängen auftauchen und wieder verschwinden. Assoziationen an Charlie-Chaplin-Filme fallen ihm ein, schwarz-weiß, man müsste hier ein Ballett tanzen lassen, sagt er. Zugegeben, für Kontemplation sei tagsüber keine Ruhe. Dafür müsse man abends wiederkommen.

Sein Lieblingsfoto in dem Begleitbuch zum Mahnmal, das am gestrigen Abend im Jüdischen Museum präsentiert wurde, zeigt Jugendliche. Sie sitzen auf einer Stele und schauen auf das Feld. Einfach so, als sei das Verhältnis zwischen Juden und Nicht-Juden nicht furchtbar kompliziert. „Wär doch schön, wenn es einmal so wäre“, sagt Eisenman. Einfach normal.

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