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Berlin: Die Muttersprache zuerst

FU-Professor Ramseger will ausländische Kinder besser fördern

Herr Ramseger, 74000 Berliner Schulkinder stammen aus EinwandererFamilien. Viele haben Probleme in der Schule, weil ihnen die nötigen Deutschkenntnisse fehlen. Sie fordern, dass diese Kinder in den ersten Jahren in der deutschen und in ihrer Muttersprache unterrichtet werden sollen. Warum?

Es macht wenig Sinn, Kinder in einer Sprache zu unterrichten, von der sie anfangs fast nichts verstehen und ihnen ausgerechnet Lesen und Schreiben in einer Sprache beizubringen, die sie selber gar nicht sprechen. Für diese Kinder ist Deutsch ja eine Fremdsprache. Fremdsprachenerwerb aber vollzieht sich immer in Auseinandersetzung mit Sprachstrukturen, die man in der Muttersprache erworben hat. Die muss man weiter pflegen, damit der Erwerb der Fremdsprache Deutsch eine gute Basis hat.

Wie soll die Alphabetisierung in der Muttersprache praktisch aussehen? Sollen Berliner Schulen Unterricht in 140 Sprachen von Arabisch bis Vietnamesisch anbieten?

Natürlich nicht. Wir haben keine gute Lösung für alle Kinder. Aber die meisten Einwandererkinder stammen aus türkischen, serbo-kroatischen, arabischen oder russischen Familien. Wenigstens ihnen könnte man helfen, indem man sie innerhalb der Schule oder zwischen zwei, drei benachbarten Schulen nach ihren Herkunftssprachen aufteilt und sie von der Vorschule bis mindestens zum Ende der zweiten Klasse systematisch zweisprachig unterrichtet. Neben dem muttersprachlichen Unterricht müssen die Kinder selbstverständlich intensiven Deutschunterricht erhalten und sollen auch mit deutschen Kindern eine Schule besuchen – sofern es noch deutsche Kinder in dem Stadtteil gibt.

Bei vielen Kindern nichtdeutscher Herkunft ist doch unklar, welches ihre Muttersprache ist. Das Türkisch vieler Kreuzberger Kinder, hört man immer wieder, sei auch nicht besser als ihr Deutsch.

Sicher gibt es solche Fälle, aber sie zu verallgemeinern halte ich für unzulässig. Wir wissen es gar nicht so genau. Was wir daher dringend brauchen, sind systematische Sprachstandserhebungen. Um Kindern eine effektive Sprachausbildung zuteil werden zu lassen, müssen wir nicht nur wissen, was sie in Deutsch, sondern auch was sie in ihrer Herkunftssprache können. Erst danach kann man entscheiden, welches Angebot für welches Kind sinnvoll ist.

Die Gegner der zweisprachigen Erziehung wenden ein, sämtliche Modellversuche seien gescheitert. Kaum noch eine Schule bietet zweisprachige Alphabetisierung an, nicht zuletzt, weil die Eltern kein Interesse haben.

Wir wissen schlicht nicht, was es gebracht oder nicht gebracht hat. Die Ergebnisse sind ja nicht wissenschaftlich erhoben worden. Das ist ein großes Versäumnis. Viele Lehrer berichten nämlich auch von großen Erfolgen. Im Übrigen haben all diese Versuche in einer Zeit begonnen, in der Deutschland noch um keinen Preis ein Einwanderungsland sein wollte. Heute könnte man das mit mehr Unterstützung angehen als damals, wo sich sehr engagierte Pädagogen ständig dafür rechtfertigen mussten, dass sie etwas Besonderes für Migrantenkinder tun wollten. Das hat viel Kraft gekostet.

Wer sollte den Unterricht durchführen? Es gibt gar nicht genug in Deutschland ausgebildete Muttersprachler...

Es gibt unter den Migranten durchaus einige, die schon in ihrer Heimat ausgebildet wurden und erfolgreich Kinder alphabetisiert haben. Die Bürokratie macht ihnen hier aber enorme Probleme mit der Anerkennung ihrer Lehrberechtigung. Ich denke, man kann Lehrer genauso anwerben wie Programmierer oder Krankenschwestern. Die anstehende Pensionierungswelle an den Schulen böte eine günstige Gelegenheit für die Rekrutierung neuen Personals.

Jörg Ramseger ist Professor für Schulpädagogik und Leiter der Arbeitsstelle Bildungsforschung Primarstufe an der Freien Universität. Mit ihm sprach Jeannette Goddar.

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