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Kennt jeder, zumindest die obere Hälfte (ohne Kriegsschäden): das Brandenburger Tor. Steht da seit über 200 Jahren, ist 26 Meter hoch und 65 Meter breit und sowieso ziemlich berühmt. Weil alle Touristen hierher kommen und 500 (!) Demonstrationen hier im Jahr stattfinden, rückt auch die BSR ziemlich oft an: bis zu drei Mal am Tag. Übrigens mit Besen, damit das historische Pflaster geschont wird. Was sonst noch auf dem Pariser Platz los war? Wir nehmen Sie mit auf eine Zeitreise in Bildern.

© Imago

Die Nachbarn am Pariser Platz: Rund um die US-Botschaft

Die US-Botschaft eine Abhörstation? Die amerikanische Vertretung hat in der letzten Woche viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der prestigeträchtige Pariser Platz ist solche Aufmerksamkeit gewohnt. Doch nicht alle Anwohner fühlen sich in dieser Nachbarschaft wohl.

Ob nachts schick illuminiert oder tagsüber von der Sonne bestrahlt: Millionenfach auf Postkarten gedruckt bleiben Pariser Platz und Brandenburger Tor Sehenswürdigkeiten der ersten Klasse. Am 7. August 1814 zogen die preußischen Truppen nach dem Sieg über Napoleon in Paris ein – und das Karree im Herzen Berlins, wo acht Jahre zuvor Napoleon seinen Siegeszug durchs Brandenburger Tor abhielt, wurde nach der französischen Hauptstadt benannt. Von seinem politischen Charakter hat der Platz bis heute nichts verloren: Reste von Verplombungen an Gulli-Deckeln und Lüftungsgittern sind ein Andenken an Barack Obamas Rede im Juni dieses Jahres. Außer dem US-Präsidenten nutzten 469 Kundgebungen und Aufzüge im vergangenen Jahr die Kulisse. Tendenz steigend, denn in diesem Jahr registrierte die Polizei bereits knapp 500. Aber auch Pantomime, Musiker, Mickey Mouse und der Berliner Bär, dazu Velo-Taxis und Pferde-Kutschen bevölkern den Platz. Viele Menschen, noch mehr Dreck: Der Pariser Platz gehört zur „Reinigungsklasse 1“, die eine tägliche Reinigung vorsieht. Tatsächlich wird der Bereich am Brandenburger Tor jedoch laut Stadtreinigung bis zu drei Mal am Tag durch ein sechsköpfiges Team gereinigt – klassisch mit Besen sowie mit speziellen Kehrmaschinen, die das historische Pflaster schonen.

Das Hotel Adlon

72 083 Gäste aus 52 Ländern im vergangenen Jahr – und einige blieben gleich für zwölf Monate. Ob Orangensaft für 7,50 Euro das Glas oder die Royal Suite für 15 000 Euro pro Nacht – dem traditionsreichen Hotel am Pariser Platz ist kein Luxus zu teuer. Immer wieder halten Touristen an für ein Erinnerungsfoto mit den legendären fünf Sternen. Wo Gustav Stresemann wohnte, Marlene Dietrich nächtigte, Michael Jackson sein Kind aus dem Fenster der Suite hängen ließ, fühlen sich auch US-Präsidenten wohl. In direkter Nachbarschaft zur landeseigenen Botschaft waren unter anderem George H.W. Bush und später auch sein Sohn George W. Bush zu Gast. 2008 besuchte Barack Obama als Präsidentschaftskandidat Berlin. Am Brandenburger Tor hatte er sprechen wollen, musste sich aber mit der Siegessäule zufrieden geben. Dennoch nahmen er und seine Entourage für 24 Stunden das Hotel Adlon in Beschlag. Im Juni dieses Jahres dann, als er endlich auf dem Platz sprechen durfte, zog Obama das Ritz-Carlton am Potsdamer Platz vor – warum, das weiß nur die NSA.

Die Akademie der Künste

In früherer Zeit hätte der Schreibtisch von Klaus Staeck einen erstklassigen Überwachungsposten abgegeben. Die gläserne Fassade der Akademie der Künste glitzert in der Sonne. Durch sie hat ihr Präsident den Überblick: „Ich behaupte mal ganz frech, wir sitzen im Zentrum der Macht: Mein Büro hat ein Schaufenster auf den Platz, ich sehe die US-Botschaft, den Reichstag, ein Stück Kanzleramt.“ Bis ins 17. Jahrhundert reichen die Wurzeln der Akademie, deren Ziel die Förderung der Künste ist. Von 1907 bis 1937 hatte sie ihren Sitz am Pariser Platz, dann musste sie Albert Speer weichen und zog ins Kronprinzenpalais. Nach dem Mauerfall kehrte sie an den alten Standort am Pariser Platz zurück. Heute schlendern Besucher ein, aus und hindurch: Es ist eines der wenigen öffentlichen Häuser am Platz.

Nach der Wende zog die US-Botschaft in unmittelbare Nachbarschaft: „Damals war die Sorge groß, die ganze Gegend würde dadurch zu einem Hochsicherheitstrakt“, sagt Präsident Staeck. Tatsächlich sei die Botschaft nie eine echte Belastung gewesen. Historie und Gegenwart des Platzes sieht Staeck als Verpflichtung. Deshalb habe sich die Akademie auch beim Hungerstreik der Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor vermittelnd eingemischt – 2012 und 2013 erneut, wie Staeck betont. „Das war für uns eine Selbstverständlichkeit. Und gleichzeitig ein Lehrstück der Demokratie.“

Die US-Botschaft

Tun sie’s oder tun sie’s nicht? Kaum eine Frage zur US-Botschaft interessiert derzeit mehr. Laut Spiegel tun sie es: Angeblich hören die Amerikaner vom Dach ihrer diplomatischen Vertretung unter anderem das Handy der Bundeskanzlerin ab – und wer weiß, wen noch. Das Nachrichtenmagazin beruft sich in seinem Bericht auf die Informationen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden. Laut US-Regierung, nun ja, tun sie es zumindest im Moment nicht und haben es in Zukunft auch nicht vor. Zur Vergangenheit gab es bisher keine klaren Aussagen von amerikanischer Seite. Auch US-Botschafter John B. Emerson hält sich zu den konkreten Vorwürfen bedeckt, versichert aber, die Verärgerung der deutschen Bevölkerung zu verstehen. Auf dem Pariser Platz beäugen Berlin-Besucher immer wieder misstrauisch die Fassade der Botschaft. 1930 war die Nachricht der „New York Times“, die neue amerikanische Vertretung werde am renommierten Pariser Platz entstehen, ein Weihnachtsgeschenk für die US-Bürger. Derzeit verursachen die Meldungen um sie eher globalen Ärger.

Der Demonstrant: Daniel Lücking

Das Friedenszeichen prangt auf seinem Soldatenhelm. Wie zum Dienst angetreten steht er seit sieben Wochen täglich für eine Stunde vor der amerikanischen Botschaft. Daniel Lücking erzählt, er sei ehemaliger Bundeswehrsoldat, zuletzt im Rang eines Oberleutnants, drei Mal sei er zwischen 2005 und 2008 in Afghanistan gewesen, insgesamt für elf Monate. „Die Berichte aus Afghanistan sind manipuliert“, sagt Lücking. „Nur 20 Prozent der Informationen erreichen das Parlament, 25 Prozent die Presse. Auf Nachfrage erfährt man höchstens 70 Prozent.“ Jetzt demonstriert der 34-Jährige jeden Tag vor der amerikanischen Botschaft. Erst protestierte er nur gegen einen Krieg in Syrien, denn „Syrien ist das letzte Tor vor Iran“. Jetzt steht „Stop Watching us“ auf seinem Schild. Er fordert ein Ende der Überwachung durch die NSA und andere Geheimdienste und die Haftreduzierung für die amerikanische Whistleblowerin Chelsea Manning.

Das Haus der Commerzbank

Die Sonne fällt durch die bodentiefen Fenster aufs Parkett: Pariser Platz 1 – kaum eine Adresse der Stadt kann es mit dieser Noblesse aufnehmen. Als US-Präsident Barack Obama im Juni Berlin besuchte, wurde das Haus der Commerzbank zur Schaltzentrale. Im Clubraum des ersten Stocks hängt noch immer das gelbe Bild Gotthard Graubners, vor dem das Foto mit Peer Steinbrück entstand. In Richtung Ebertstraße verließ Obama damals das Haus mit Angela Merkel durch einen überdachten Tunnel, um kurz darauf mediengewaltig durch das Brandenburger Tor zu schreiten. Obama hat Geschmack bewiesen. Einst flankierten die Häuser Sommer und Liebermann das Brandenburger Tor. Beide wurden im 19. Jahrhundert von Schinkel-Schüler August Stüler erbaut, im Zweiten Weltkrieg zerbombt. Architekt Kleihues lehnte sich mit den Neubauten an die historischen Vorbilder an. Von 1995 bis 1999 wurden die Häuser errichtet, das Haus der Commerzbank gestaltete Kleihues auch innen: Quadrate über Quadrate – als Sprossen in den Fenstern, als Muster im Parkettboden, als Lampen in der Kassettendecke. Alles ausgestattet in kanadischer Kirsche, Eiche und schwarzem, italienischem Marmor.

Der Raum der Stille

Echte Stille in all dem Trubel. Kein Mucks ist zu hören in dem wenige Quadratmeter großen Raum am Fuße des Brandenburger Tors. Gedämpftes Licht dringt durch ein Fenster, einziger Schmuck ist ein schlichter Wandteppich. Für die Spione der NSA ist dieser Raum nutzlos, denn hier gibt es nichts zu belauschen. Im alten Wachhaus des Brandenburger Tors ist die Ruhe seit 1994 Programm. Schon um die Wendezeit war die Idee entstanden, einen überkonfessionellen Raum in zentraler Lage einzurichten. Gründerin Maria Diefenbach sagt: „Stille verbindet. Angesichts des Dritten Reichs und der DDR-Zeit wollten wir an die alte Tradition des Tors als Friedenstor anknüpfen und erinnern.“ Bis zu 200 Besucher am Tag und rund 76 000 im Jahr nehmen dieses kostenlose Besinnungsangebot wahr. Am 27. Oktober im nächsten Jahr wird das 20-jährige Jubiläum gefeiert.

Die französische Botschaft

Links weht das Sternenbanner, rechts die Trikolore: In der Welt liegt ein gigantischer Ozean zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten. In Berlin sind es nur die 1,5 Hektar. Bereits in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts wohnten französische Vertreter am Platz, die amerikanischen Kollegen fanden sich gut hundert Jahre später gegenüber ein. Spionagenest hin oder her: Für Frankreichs Präsident François Hollande dürfte die Berliner Nähe der französischen Vertretung zur Botschaft der USA nicht mehr ausschlaggebend sein. Im Oktober bereits hatte sich Hollande bei Obama wegen der Überwachungsmaßnahmen der NSA in Frankreich beschwert. Nun heißt es, die französischen Geheimdienste hätten möglicherweise selbst Daten an die NSA geliefert. Kommt als nächstes die Nachricht eines weiteren Spionagenests auf dem Dach der Vertretung am Pariser Platz 5? Sollte es existieren, dürfte es von der Redaktion des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ aus sichtbar sein und nicht lange geheim bleiben.

Die Spiegel-Redaktion

Zu Fuß zum Bundestag und Kanzleramt, möglichst zentral: Das mehrere Etagen umfassende Hauptstadtbüro von „Spiegel“ und „Spiegel Online“ bietet beste Voraussetzungen für Journalisten. Wortwörtlich finden sich vor der nobel glänzenden Haustür die Themen. Doch seit gut zwei Wochen zieht sich da eine neue, heikle Spannung schräg über den Pariser Platz. Von Edward Snowden erhielten die Spiegel-Journalisten Informationen über eine NSA-Überwachungszentrale in der US-Botschaft, der Redaktion direkt gegenüber. Von dort, so heißt es, soll unter anderem das Handy der Bundeskanzlerin überwacht worden sein. Anfang der Woche schaffte es das „Nest“ auf das Cover des Magazins. Gekannt hat man den Titel links und rechts des Pariser Platzes womöglich zeitgleich.

Karoline Kuhla

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