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Berlin: Die Nadelprobe

Eine große Studie von Krankenkassen und Charité hat bewiesen: Akupunktur hilft. Allerdings auch die Scheinakupunktur. Alles Einbildung? Stechen lassen – die wichtigsten Fragen und Antworten

Halten Sie mal die Luft kurz an, sagt der Arzt. Dann sticht er zu. Binnen Sekunden sind zehn Nadeln um das schmerzende Knie des Patienten gesetzt. Es blutet nicht. Die elfte Nadel pflanzt der Mediziner mitten auf den Kopf. „Zur Entspannung.“ Und das soll jetzt helfen gegen die Schmerzen, für die der Orthopäde schon die Operation vorgeschlagen hatte?

Dass die Nadeltherapie tatsächlich Erfolg hat, haben Charité-Mediziner jetzt im Auftrag der Techniker-Krankenkasse nachgewiesen – mit der nach eigenen Angaben weltweit größten Akupunkturstudie. Die Berliner Wissenschaftler unter Leitung von Stefan Willich, Direktor des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité, analysierten die Ergebnisse von Akupunktur-Behandlungen an insgesamt 314 000 Patienten, darunter 20 000 aus Berlin. Das Ergebnis: Die Nadeln wirken – und teilweise sogar besser als die schulmedizinische Behandlung.

Die Studie und ihre Ergebnisse

Für die Untersuchung wählten die Forscher sieben Krankheitsbilder aus. Bei den meisten Befragten prüften die Wissenschaftler, inwieweit eine Akupunktur zusätzlich zur „Normaltherapie“ eine Besserung der Symptome bewirkte. So berichteten neun von zehn Heuschnupfen-Patienten , ihre Beschwerden hätten sich nach der Nadelkur gebessert, ebenso wie 82 Prozent der Asthmatiker . Das gleiche berichteten drei Viertel derjenigen, die unter Rückenschmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule klagten. 73 Prozent beobachteten ein Linderung ihrer chronischen Kopfschmerzen , 85 Prozent fühlten sich trotz Schmerzen an der Halswirbelsäule besser. Jeweils 85 von hundert Arthrosepatienten und Frauen mit Monatsbeschwerden meinten, ihnen hätte die Akupunktur geholfen. Manche berichteten sogar, sie seien von ihren Beschwerden ganz befreit. Wie viele? „Das werten wir noch aus“, sagt Studienleiter Willich. Es gab auch „handfeste Überraschungen“, meint der Mediziner. Zur Linderung einiger Krankheiten, wie zum Beispiel Migräne, sei es nicht wichtig, den nach chinesischer Tradition vorgeschriebenen Einstichpunkt exakt zu treffen. Alles doch nur Suggestion? Im Folgenden die wichtigsten Fragen und Antworten rund ums Nadeln.

Akupunktur – was ist das?

Der Begriff Akupunktur setzt sich aus zwei lateinischen Bezeichnungen zusammen, aus acus, Nadel, und aus pungere – stechen. Akupunktur ist also die Therapie mit Nadeln. Ursprünglich stammt diese etwa 3000 Jahre alte Heilmethode aus China. Die besonders effektive Ohr-Akupunktur allerdings hat ein Franzose erst vor 60 Jahren erfunden.

Die Grundannahme der Akupunktur klingt ein wenig esoterisch. Akupunkteure glauben, dass in bestimmten Bahnen, den Meridianen, Energie durch den Körper fließt. Diese Energie tritt an über 700 Punkten an die Hautoberfläche, wo man sie mit den Nadeln erreichen kann. Es gibt zwölf Hauptmeridiane, die bestimmten Organen oder Körperfunktionen zugeordnet sind. Was genau diese Meridiane sind, das wissen nicht einmal Fachleute. „Sie sind teilweise mit den Nervensträngen identisch, andere hängen mit den Muskeln zusammen“, sagt der Hamburger Akupunkteur Helmut Rüdinger, Vizevorsitzender der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur. Die Meridiane wurden von tausenden Ärzten über Jahrhunderte hinweg gefunden – und auf Meridiankarten kartografiert.

Wie wirkt die Akupunktur?

Der traditionellen Auffassung nach kann der Fluss der Körperenergie gestört werden, zum Beispiel durch Kälte, Wärme, Zugluft, falsche Ernährung, seelische Belastung und Überanstrengung. Krankheiten und Schmerzattacken sind die Folge. Die Akupunkturnadeln verursachen nun ihrerseits Schmerzreize, die den Energiefluss in den Meridianen „entstören“ sollen. So wie Löschtrupps ein Gegenfeuer legen, um die Flammen zu bekämpfen, so setzt der Akupunkteur den Schmerz des Nadelstiches ein, um die Hauptprobleme zu lindern, etwa Migräne, Monatsbeschwerden oder Rückenschmerzen. Die wissenschaftliche Erklärung: Der Schmerzreiz des Nadelstiches gelangt über Nervenbahnen ins Gehirn und löst dort eine Gegenreaktion aus. Gehirnzellen setzen den Botenstoff Serotonin frei, der die Schmerzempfindung drosselt. Und das nicht nur für den Nadelstich, sondern gleichzeitig auch für den Kopf- oder Rückenschmerz. Akupunktur zeigt aber nicht nur Wirkung bei Schmerzbeschwerden, sondern auch bei Schlafstörungen, Durchfall oder Asthma. Die Weltgesundheitsorganisation nennt rund 40 Anwendungsgebiete. Allerdings lässt sich das Wirkprinzip oft nicht wissenschaftlich beschreiben, unter anderem bei Allergien. „Wir sehen nur, dass der Immunglobulin-Wert – das sind Antikörper, die auf eine Allergie im Körper hindeuten – im Blut sinkt“, sagt der Akupunkteur Rüdinger. „Den genauen Wirkmechanismus kennen wir immer noch nicht.“

Was die Kritiker sagen

Diese Erklärungslücken geben Kritikern immer wieder Argumente in die Hand, die Wirksamkeit von Akupunktur generell anzuzweifeln. Sie sprechen von der eingebildeten Heilung, vom Placeboeffekt. Der Akupunkteur erreiche deshalb etwas, weil er sich dem Patienten intensiver zuwende als manchem gestressten Hausarzt möglich ist. Außerdem könne das Ritual um die Therapie – das lange Gespräch über die Krankheitsgeschichte, die berührungsintensive Suche nach den besten Einstichpunkten und die anschließende Ruhephase – den Glauben an die Hilfe und damit den Therapieerfolg befördern.

Die Instrumente

Die Nadeln sind meist aus Edelstahl. Die besseren haben eine mit Silikon ummantelte Spitze. Sie gleiten leichter in die Haut und schmerzen deshalb weniger. Die Nadeln messen 13 Millimeter bis acht Zentimeter und haben einen Durchmesser von 0,15 bis 0,35 Millimetern. Nahezu alle Akupunkteure in Deutschland verwenden sterile Wegwerfnadeln.

Die Zahl der Einstiche und deren Tiefe hängt von der Krankheit ab. Zwischen zehn und 15 Nadeln setzt der Arzt an Kopf, Körper und Ohr, um Migräne zu therapieren. Gegen allergischen Schnupfen setzt er 15 bis 20 Nadeln am Körper, im Gesicht und am Ohr. Eine einzige Nadel, zwei bis drei Zentimeter tief gestochen, genügt geübten Akupunkteuren, um eine Wirbelblockierung zu lösen.

Im Durchschnitt sind zehn bis 15 Sitzungen nötig. „Manchmal reichen zwei, es können auch mal 30 werden“, sagt Achim Kürten, Leiter des Zentrums für Traditionelle Chinesische in Berlin. Die Sitzungen dauern bis zu einer halben Stunde.

Wer ist Experte?

Prinzipiell darf jeder ausgebildete Arzt oder Heilpraktiker eine Akupunktur anbieten. Wenn er auf seinem Praxisschild darauf hinweist, muss er allerdings einen mindestens 140-stündigen Fortbildungskurs inklusive Prüfung bei den Dachverbänden der Akupunkturärzte oder anderen Kursanbietern besucht haben. Besser seien Kurse von mindestens 350 bis zu 800 Stunden, sagen Fachleute. Über 60 Verbände und Institute bieten in Deutschland Akupunkturkurse an – ein schwer zu durchschauendes System. Deshalb raten Experten, die Mediziner nach ihrer Ausbildung zu fragen. Derzeit arbeiten die Ärztekammern an einem verbindlichen 200-Stunden-Fortbildungsprogramm. Ärzte, die dieses Programm absolviert haben, dürfen dann die Zusatzbezeichnung „Akupunkteur“ tragen. Bisher hat nur Bayern so eine Weiterbildung zugelassen.

Was kostet Akupunktur und wer zahlt sie?

Eine Akupunktursitzung kostet 35 bis 50 Euro. Derzeit dürfen die gesetzlichen Krankenkassen die Nadeltherapie nur selten bezahlen: Angesichts der Charité-Studie fordern nun einige Versicherungen, dass sie Kassenleistung werden müsse. Im Herbst wollen Ärzte- und Krankenkassenverbände im Gemeinsamen Bundesausschuss über Regelungen beraten.

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