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Ohne Anschluss. Die Protestbewegung hat keinen Ansprechpartner in den etablierten linken Parteien.

© Stephan Wiehler

Protest gegen steigende Mieten: Die neue Apo im Kiez

Gegen steigende Mieten formiert sich eine Berliner Protestbewegung. Von etablierten linken Parteien fühlen sich die Aktivisten im Stich gelassen. Sie legen Wert auf die Bezeichnung „außerparlamentarisch“.

Eingerahmt von Treptower Park und Landwehrkanal, einen Steinwurf entfernt von der Arena mit Bars und Badeschiff, nicht weit von Kreuzberger Touristenmeilen und Friedrichshainer Bierkneipen: Alt-Treptow ist gut gelegen. Da konnte es nicht lange dauern, bis das Quartier in den Blick von Baugruppen und Immobilienhändlern geriet. Nun ist es vorbei mit der Ruhe. Weil Alt-Treptow eine Keimzelle der neuen Berliner Graswurzel-Bewegung ist – eines Generationen übergreifenden Bündnisses von Berlinern, die den politischen Parteien verloren gegangen zu sein scheinen.

Am 3. September gehen sie auf die Straße. „Jetzt reicht’s! Mietenstopp Demonstration“ steht auf dem blauen Flyer. Auf der Rückseite derselbe Aufruf in türkischer Sprache. Unterzeichner sind ein Dutzend Stadtteilinitiativen: von Neukölln über Wedding bis Zehlendorf. „Außerparlamentarisch“ nennt sich das Bündnis. Für die Demo gilt deshalb: Symbole politischer Parteien und deren Frontfiguren sind unerwünscht. Keine Vereinnahmung im Wahlkampf – durch Parteien, durch die sie sich nicht repräsentiert fühlen. Aber wer ist das eigentlich, der „bezahlbare Wohnungen für alle und überall“ fordert? Zum Beispiel Jörn Schulte, Jahrgang 1965, „Medienmacher“, dessen Einkommen auf das Niveau der Grundsicherung aufgestockt wird, wohnhaft in Alt-Treptow. Oder Julia Schmidtbauer, Jahrgang 1985, in einer Weddinger Studenten-WG zu Hause.

Von einem „Schlüsselerlebnis“ berichtet Jörn Schulte, graumelierte, hinter dem Kopf zusammengebundene Haare: Eine Nachbarin, um die siebzig Jahre alt, habe ihn gefragt, Tränen in den Augen, wie sie die Mieterhöhung nach der Sanierung bezahlen solle. „Ich dachte, ich könnte bis zum Lebensende hier wohnen“, habe sie gesagt. Für Schulte ist das ein Beispiel für den „gewaltsamen Prozess“ der Verdrängung, für die „Kampfansage von oben“.

Julia Schmidtbauer, kurze schwarze Haare, dunkle wache Augen, sagt: „Neubau und Sanierungen kommen den Menschen in den Quartieren nicht zugute“. Und sie erzählt, wie der frühere Umweltminister Klaus Töpfer mit Kamerateams im Kiez einfiel, um den energetischen Umbau eines Hauses zu feiern. Die Mieten hatten sich dadurch verdoppelt. Erst durch den Druck der Hausgemeinschaft wurde ein Teil der Erhöhung zurückgenommen. „Trotzdem blieben nur vier Haushalte dort“, sagt sie. Eine „andere Schicht“ sei eingezogen. Der Kiez verändere sich. Deshalb müsse eine „außerparlamentarische Mieterschaft“ her.

Lesen Sie auf Seite 2: Soziologe sieht Vakuum in der Politik

Dass ein roter Farbbeutel an die neue Fassade der Baugemeinschaft aus der Karl-Kunger-Straße geschleudert wurde, sehen sie mit einer gewissen Genugtuung. Und die brennenden Autos in der Stadt? Kiezaktivist Schulte weicht aus: Warum hier nicht nach den sozialen Unruhen in Spanien, Griechenland oder Israel gefragt werde? Weltweit formierten sich ähnliche Protestbewegungen.

Die Demonstration am 3. September werde laut Schulte verschiedene gesellschaftliche Strömungen vereinen: Leute aus bürgerlichen Kreisen, „denen das Wasser bis zum Hals steht“, die aber Gewalt als Mittel des Protests ablehnen, ebenso wie solche, die sie dulden oder sogar befürworten.

Der Stadtforscher und Soziologe Andrej Holm beobachtet seit etwa drei Jahren ein wachsendes Interesse an „sozial- und mietenpolitischen Themen in der linken Szene“. Anders als bei den Hausbesetzer-Bewegungen der Achtzigerjahre und der Proteste in den Neunzigern gebe es heute „keinen Ansprechpartner im parlamentarischen Raum“. Die Linke ist beteiligt an der Regierung. Die Grünen hätten sich das Thema „nicht konsequent zu eigen gemacht“. So sei ein „Vakuum in der Wohnungspolitik“ entstanden.

Die neue Bewegung sei zwar verwurzelt in der Kreuzberger Protestkultur. Getragen sei sie aber „von den Betroffenen“. Nachdem in Hausfluren der Admiralstraße ein Aufruf zur Sammlung von Unterschriften gegen Mieterhöhungen aufgetaucht war, hätten sich 500 Leute aus der Nachbarschaft auf der Straße versammelt. In anderen Fällen sei Besitzern der Zutritt zum Haus verweigert worden. Die Sanierungsumlagen seien oft korrekt berechnet. Die Bewohner könnten sie trotzdem nicht zahlen. Der Konflikt sei nicht mehr „legal zu lösen“.

Deshalb sprengten einige Aktivisten die Vorstellung des neuen Mietspiegels durch Bausenatorin Ingeborg Junge- Reyer (SPD) Anfang des Jahres: Masken vorm Gesicht, Transparente in der Hand protestierten sie gegen den „Mieterhöhungsspiegel“, wie sie sagen.

Die Mieten steigen stetig und weil die Einkommen stagnieren und es an Jobs fehlt, werden immer mehr Berliner an den Rand des Wohnungsmarktes gedrängt. Der Mietspiegel wird zwar von Mietern und Vermietern gemeinsam erstellt, um den Druck auf dem Wohnungsmarkt zu dämpfen. Doch aus Sicht dieser Gruppe legitimiert er unbezahlbare Mieterhöhungen und Verdrängung. Julia Schmidtbauer zog mit ihrer WG von Friedrichshain nach Neukölln – und irgendwann werde es wohl nach Wedding oder Moabit gehen. „Wir erheben aber den Anspruch auf eine Stadt für alle“, sagt sie. „Wir wollen dort wohnen, wo wir es uns ausgesucht haben.“

Für den Soziologen Holm sind Berliner Mieter verbunden durch eine „Verdrängungskette“: Studenten-WGs aus Friedrichshain verdrängen Hartz-IV-Empfänger aus Nord-Neukölln. Junge Familien ziehen von dort nach Alt-Treptow und verdrängen Rentner. So entstehen fortwährend Gebiete mit neuen Formen der Gentrifizierung, und die Aufwertung der Stadt greift um sich: von Neukölln über Lichtenberg und Alt-Treptow bis Weißensee.

Für den Senat ist das eine positive Entwicklung: Das vor zwei Jahren noch als Brennpunkt von Armut und Kriminalität verschrieene Neukölln ist plötzlich schick. Es scheint, als lösten sich soziale Probleme von selbst. Doch die Verdrängten schlagen in anderen Stadtteilen wieder auf. Gelöst wird nichts, solange nicht mehr Jobs entstehen sowie Löhne und Renten mit den Mieten steigen. Ein blinder Fleck für die etablierten Parteien, sagen die Aktivisten, die ihnen ein „soziales Gewissen“ absprechen. Von Verdrängung spreche der rot-rote Senat zwar nicht, wohl aber davon, dass „besser Verdienende“ in die Stadt geholt werden müssten, um die Brennpunkte aufzuwerten. „Wir verstehen Aufwertung als Angriff“, sagt Jörn Schulte. Und Julia Schmidtbauer fügt hinzu: Wohnraum gebe es nur für jene, „die gesetzt sind“. Für Bewohner mit geringen Einkommen werde nicht gebaut.

Auf dem blauen Flyer, der zur Demonstration aufruft, ist ein leerer Kühlschrank abgebildet. „Die Leute sparen am Essen, um ihre Wohnung im Kiez nicht zu verlieren“, sagt Schulte. Deshalb entstand die Alt-Treptower Initiative. Am Anfang standen Kiezspaziergänge zu sanierten Häusern oder Baugruppen. Auch Veranstaltungen gibt es. „Bei manchen Veranstaltungen besteht die Hälfte der Teilnehmer aus Ost-Rentnern“, sagt Schulte. Deren Altersbezüge seien so gering, dass die Erhöhung der Miete nach einer Sanierung sie zum Auszug zwinge. Aber nicht nur der Ostteil ist betroffen: sogar im bürgerlichen Zehlendorf gibt es eine Initiative. „Die rechnen sich aus, dass es ihnen in ein paar Jahren ähnlich ergeht.“ Nach der „verdeckten Armutsschicht“ erreiche die Entwicklung die Mittelschicht, meint der Kiezaktivist.

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