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Berlin: Die neuen Entdecker

Kunsttrends und hippe Mitte-Mode locken immer mehr Japaner nach Berlin Sie leben und arbeiten hier – und brauchen dafür gar kein Deutsch

Prallvoll ist das Notizbuch, in dem Yoske Nishiumi seine Eintrittskarten aufbewahrt. Der Japaner hat in den vergangenen Monaten einiges angesammelt, war bei Modemessen, Medienmessen, bei Filmfesten und Kunstevents, und eines war überall gleich: „Ich habe dieses Jahr so viele Japaner und Südkoreaner kennen gelernt wie nie zuvor.“

Und tatsächlich: Neben den notorisch fotoschießenden Reisegruppen aus Japan, China oder Korea gibt es immer mehr Asiaten, die länger in Berlin bleiben, die die Stadt auf der Suche nach Trends durchstreifen.

Die Statistiker im Landesamt haben nachgezählt: Im Jahr 2004 lebten in Berlin rund 2220 Japaner, das sind 5,8 Prozent mehr als im Jahr davor. Die Zahl der Südkoreaner ist mit 2400 stabil geblieben, ebenso wie die der Chinesen (5510) und der Vietnamesen (10600). Einer der japanischen Neuberliner ist der 38-jährige Yoske Nishiumi.

Er kam vor fünf Jahren zusammen mit Fumie Tsuji, einer japanischen Sängerin, zum ersten Mal nach Berlin. Geplant war nur ein Besuch, aber die beiden waren begeistert von dem Mix aus Alt und Neu: Hier ein High-Tech-Gebäude, dort eine Altbauwohnung oder Fabriketage, in denen sich ab und zu Galerien und Klubs versteckten. Sie entschieden sich zu bleiben. Heute beliefern sie regelmäßig Tokioter Boutiquen mit Mode aus Berlin, nebenbei veranstaltet Nishiumi noch die Party-Reihe Koi Klub in der Glasbar neben dem Café Moskau, in der er regelmäßig Film- oder Skulpturkunst ausstellt.

Kontakte in die Mode- und Kunstszene ergeben und ergaben sich auf Messen und Ausstellungen. Dort lernen Fumie Tsuji und Yoske Nishiumi viele Designer kennen, deren Arbeiten sie an japanische Firmen verkaufen. „In Japan wird Berlin gerade entdeckt“, sagt die 32-jährige Tsuji. In den dortigen Zeitschriften machen Lifestyle-Themen Lust auf die deutsche Hauptstadt. Fumie Tsuji arbeitet inzwischen als Autorin für die Magazine. „Am Anfang hatte ich keine Berufserfahrung“, sagt sie, aber die japanischen Redakteure schien das nicht zu stören: „Sie waren scharf auf meine Berlin-Geschichten.“

Nishiumi glaubt, dass Berlin wegen des Kulturangebots so beliebt sei. „Früher kamen Japaner nur fürs Studium hierher, heute auch um neue Ideen aufzuspüren, die im Heimatland populär gemacht werden“, sagt er. Das ist auch der Grund, weshalb der Tokioter kaum Deutsch spricht. „Meine Berliner Kollegen sprechen alle Englisch. Für meine Arbeit brauche ich dann nur noch Japanisch.“

Mit der deutschen Sprache hat der Südkoreaner Sua Kim keine Probleme, der 23-Jährige wurde in Deutschland geboren. Er macht die Öffentlichkeitsarbeit für das DJ-Duo Banzai Kids, das mit seinem asiatischen Klubsound europaweit gebucht wird. Auch er sieht, dass Trends aus Berlin in Asien gefragt sind. In Seoul gebe es jetzt „illegale Clubs nach Berliner Vorbild“.

Während Japaner und Koreaner in der Kulturlandschaft Berlins kräftig mitmischen, halten sich viele Vietnamesen und Chinesen im Hintergrund – und das obwohl sie den Großteil der hier lebenden Asiaten ausmachen. „Die meisten Vietnamesen arbeiten in der Gastronomie. Bei den Chinesen steht die Berufsausbildung an erster Stelle“, sagt Joyce Lam, eine Hongkong-Chinesin, die 1991 nach Berlin kam. Ihr Vater legt großen Wert darauf, dass sie sich auf ihre Ausbildung konzentriert. Mittlerweile arbeitet die 23-Jährige als technische Zeichnerin, spricht akzentfrei Deutsch und schaut ehrgeizig nach vorne, will Maschinenbau studieren. Und so ist auch ihr Notizbuch prall gefüllt. Nicht mit Eintrittskarten für Messen und Ausstellungen, sondern mit Informationen über das Abendstudium.

Cao Tuan Lam

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