zum Hauptinhalt
Wohl und Wahl. Im Kulturhaus Brotfabrik in Weißensee und im Autohaus am Ku’damm stehen die Urnen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die neuen Wahllokale: Kabine im Knusperhäuschen

Die alte Tradition, den Wahlgang mit einem Frühschoppen in der Eckkneipe zu verbinden, ist praktisch ausgestorben. Heute stimmt man dafür in Restaurants, Autohäusern und Tanzsälen ab.

Die Stimmabgabe ist in Berlin ein recht nüchterner Vorgang geworden. Das liegt vor allem an der schwindenden Zahl echter Wahllokale. Die Auswertung der 1710 Räume, die für würdig befunden wurden, die Bundestagswähler zu empfangen, ergibt mehrere Restaurants, eine einstellige Zahl von Cafés und streng genommen zwei klassische Lokale: die „Gaststätte am Sportplatz“ in Schmöckwitz-Eichwalde und das „Knusperhäuschen“ am Kladower Damm 145. Beide peripher gelegen.

Die alte Tradition, den Wahlgang mit einem Frühschoppen in der Eckkneipe zu verbinden, ist praktisch ausgestorben. Die Wahlleiter der Bezirke befürchten Beeinflussungsversuche durchs Tresenpublikum. Schlimmer wäre noch, wenn sich Wahlwillige gar nicht ins Lokal hineintrauten, weil sie sich Sprüchen der Stammkundschaft nicht aussetzen möchten.

„Ein Wahllokal muss politisch neutral sein“, sagt der Wahlamtsleiter von Charlottenburg-Wilmersdorf, Werner Krause-Jentsch. Parteizentralen eignen sich also gar nicht. Einige Wähler hielten auch Räume in Kirchengemeinden für unpassend, wegen der vielen Kreuze. Aber das hält Krause-Jentsch für unbegründet.

Und was ist mit Automarken? In Reinickendorf wird das Autohaus von Mercedes-Benz in der Holzhauser Straße zum Wahllokal umdekoriert. Eine seltene, eher suboptimale Lösung, deutet Wahlamtsleiterin Stefanie Rabitsch an, aber in der Holzhauser Straße gebe es kaum Alternativen. Bislang nutzte man ein Hotel, doch die steile Treppe zum Wahlraum wollte man den Stimmberechtigten nicht mehr zumuten. Moderne Autohäuser sind eben stufenlos erreichbar, perfekt für Rollstuhlfahrer. Deshalb gehen die Leute aus dem Stimmbezirk 511 am oberen Kurfürstendamm heute bei Peugeot wählen.

Im Autohaus Laatzig (VW, Skoda, Seat), ebenfalls Reinickendorf, hat die Einrichtung eines Wahllokals schon Tradition. „Das machen wir seit den 90er Jahren“, sagt Chef Axel Laatzig. „Da ist einfach der Gedanke, zu helfen.“ Der Showroom für die Marke Skoda werde leergefahren und das nötige Mobiliar hineingeschafft. Nach dem Wählen können die Leute natürlich noch die Neuwagen besichtigen, die dann überwiegend draußen stehen, „aber das ist nicht unser Bestreben“. Laatzig wird am Sonntag vor Ort sein und will bei Problemen helfen. Er selbst hat seine Stimme schon per Brief abgegeben.

Es gibt auch kulturell interessante Wahllokale wie die „Brotfabrik“ mit Kino und Café am Caligariplatz in Weißensee oder das „Kunstquell“, eine Galerie mit Veranstaltungen in der Pistoriusstraße 88, ebenfalls in Weißensee. Die Staatliche Ballettschule öffnet Wählern ihre Türen, ebenso das Jugendkulturzentrum Spirale in der Westfälischen Straße, Wilmersdorf. Da steht die Urne im Tanzsaal.

Die Zentrale der Freiwilligen Feuerwehr Blankenfelde öffnet sich am Sonntag dem Urnengang, genauso wie die Blindenwohnstätte an der Berliner Allee in Weißensee oder die Zahnklinik der Charité in der Aßmannshauser Straße in Wilmersdorf. Wer möchte, kann auch einen Blick in das Gründerinnenzentrum Hafen in der Schwarzburger Straße 10 in Marzahn, werfen. Neu für viele dürfte auch das Angebot der „Kulturküche Bohnsdorf“ sein. Leider gibt es für den (frei erfundenen) „Tag des offenen Wahllokals“ noch keinen Busshuttle.

Die typischen Urnenstandorte sind Schulen, Behörden und Seniorenheime. Letztere haben den Vorteil, dass sie barrierefrei sind und betagte Wähler im Fahrstuhl zur Urne fahren können. Ein ländliches Wahlambiente bietet neben dem bereits genannten Knusperhäuschen in Hohengatow (Spezialität: Hexentopf) auch das „Restaurant zum Lübarser Hufeisen“ am Zabel-Krüger-Damm. Dort lädt der Wirt zur Stimmabgabe ins „Jägerzimmer“, wo sonst „bürgerliche deutsche Küche“ serviert wird. Eisbein und Schnitzel.

Sollte im ungünstigsten Fall ein Wahllokal vor der Öffnung um 8 Uhr abbrennen oder voll Wasser laufen, hat der Bezirk Reinickendorf eine Reserve gechartert. Ein BVG-Bus steht in Bereitschaft, verspricht Amtsleiterin Rabitsch. Bisher wurde der Wahlbus noch nie gebraucht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false