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Berlin: Die Notarztwagen funktionieren: Es sterben weniger Menschen

Walter Thimme über die Versorgung von Herzinfarktpatienten in Berlin Die alten Herzinfarkt- Patienten sind noch unterversorgt Walter Thimme, Kardiologe

Seit fünf Jahren sammelt das Berliner Herzinfarktregister Daten zur Behandlungsqualität von Herzinfarktpatienten in 15 Berliner Krankenhäusern. Wie sieht die Situation in Berlin aus?

Die kardiologische Versorgung in Berliner Krankenhäusern ist im bundesweiten Vergleich sehr gut. Und sie ist in den vergangenen fünf Jahren immer besser geworden. So hat sich die Sterblichkeit infolge eines akuten Herzinfarktes von 13 Prozent 1999 auf acht Prozent 2004 verringert. Und die Rate der Patienten, die mit eröffnenden Maßnahmen – also eine Herzkatheterbehandlung mit einer Weitung verengter Gefäße und einer Versorgung mit Stents zum dauerhaften Offenhalten der Adern – von 60 auf 80 Prozent erhöht.

Woran liegt es, dass Berliner so gut versorgt sind?

Berlin hat eine große Zahl guter wohnortnaher Kliniken. Dazu kommt das hervorragende Notarztwagen-System in der Stadt. Auf den Berliner Notarztwagen tun im Gegensatz zu anderen Regionen Internisten, Kardiologen und Anästhesisten ihren Dienst. Anderswo in Deutschland sind das oft auch mal Orthopäden oder Chirurgen. Deshalb ist in Berlin auch die Behandlung von Herzinfarkten schon im Notarztwagen sehr gut. Außerdem ist die Gefahr von „Irrläufern“ geringer, also einer Einlieferung von Herzinfarktpatienten in Kliniken, die für deren Versorgung nicht ausgestattet sind.

Ist hier alles wunderbar oder gibt es auch Defizite?

Es gibt natürlich noch Verbesserungspotenziale: Im Krankenhaus bestehen sie zum Beispiel in der Wartezeit, die zwischen der Aufnahme des Patienten und einer Herzkatheterbehandlung vergehen. Derzeit sind es im Durchschnitt zwischen 1,5 und zwei Stunden. Das ist zu lang, denn beim Herzinfarkt zählt jede Minute. Und dann gibt es da Defizite außerhalb des Krankenhauses. Nur 45 Prozent der Menschen mit einem akuten Herzinfarkt kommen mit dem Notarztwagen in die Klinik. Das ist immer noch zu wenig, auch wenn das im Vergleich zum Bund ein guter Wert ist. Ein anderes Problem in der Versorgung ist die Rehabilitation nach der Krankenhausbehandlung. Viele Patienten gehen gut versorgt aber ohne organisierte Reha nach Hause. Da muss sich was ändern. Das gilt auch für die ambulanten Versorgung der Patienten. Es ist überraschend, wie wenig Risikopatienten von ihren Ärzten prophylaktisch zur Herzinfarktvermeidung behandelt wurde. Gerade mal ein Fünftel der Herzinfarktpatienten, die unter dem Risikofaktor Bluthochdruck litten, waren von ihrem Arzt mit blutdrucksenkenden Arzneimitteln behandelt worden.

Es heißt auch oft, dass Frauen bei einem Herzinfarkt schlechter versorgt werden als Männer. Können das die Daten des Herzinfarktregisters bestätigen?

Das konnten wir nicht bestätigen. Männer und Frauen werden gleich gut behandelt. Aber tatsächlich ist die Sterblichkeit bei einem Herzinfarkt bei jüngeren Frauen deutlich höher, aber speziell bei solchen Frauen, die unter Diabetes leiden. Das ist eine besondere Risikogruppe.

Und die Versorgung älterer Menschen?

Gerade bei älteren Herzinfarktpatienten über 75 Jahren werden weniger häufig alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft, als bei unter 75-Jährigen. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. So sind die Behandlungsleitlinien der großen Fachgesellschaften nicht für über 75-Jährige gemacht, weil man für diese Therapieempfehlungen oft Studienergebnisse berücksichtigt. Und solche Studien werden nun mal meist mit Menschen um die 55 gemacht. Dabei sind es gerade die Älteren, die von den Behandlungen am meisten profitieren: Unter 75 Jahren sterben weniger als zehn Prozent der Herzinfarktpatienten, über 75 sind das mehr als 20 Prozent.

Welche Daten werden im Herzinfarktregister erfasst?

Die Daten von allen Patienten, die mit einem akuten Herzinfarkt in eine der 15 teilnehmenden Berliner Kliniken gebracht werden. Das sind rund 20 Prozent der jährlich 10.000 Herzinfarkte in Berlin. Das sind natürlich die persönlichen Angaben, wie Alter und Geschlecht. Dann Daten dazu, wie die Patienten ins Krankenhaus kamen, also ob mit dem Notarztwagen, ob sie von Familienangehörigen eingeliefert wurden oder selbst kamen. Dann die Anamnese, also welche Risikofaktoren – etwa Diabetes, Zigarettenkonsum oder hoher Blutdruck – vorlagen und wie der Infarkt behandelt wurde, zum Beispiel mit einem Herzkatheter und einem Stent oder ob man den Verschluss des Herzgefäßes mit gerinnungshemmenden Medikamenten aufgelöst hat. Und schließlich werden Daten zur Ergebnisqualität erhoben, also zur Sterblichkeit und ob es Komplikationen gab, wann der Patient entlassen werden konnte oder wo die Rehabilitation stattfand. Biometriker haben uns versichert, dass wir damit weit über die das System der BQS hinausgehen und dass sich die Daten sehr wohl für einen öffentlichen Leistungsvergleich eigneten. Das ist auch geplant. Doch zunächst müssten dem alle Kliniken zustimmen.

Walter Thimme (69) ist Internist und Kardiologe, Vorsitzender des Berliner Herzinfarktregister-Vereins und Herausgeber des Arzneimittelbriefes. Das Interview führte Ingo Bach.

Mehr Informationen im Internet:

www.herzinfarktregister.de

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